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Blog Post

Bewusstseinsstufen, erschritten von Gottfried Wollboldt aus Osaka

Hallo Frieder,
Dein Hinweis auf Raimundus Lullus war produktiv, obwohl ich mir Steine mit Bewusstsein kaum vorstellen kann. Ein Mensch, der in den Spiegel schaut und sich selbst erkennt, hat Bewusstsein und Selbstbewußtsein. Lebewesen sind von Geburt an mit Bewusstsein ausgestattet, mit unfertigem. Es muss erst noch lernen. Nicht nur Laufen und Sprechen, z.B. auch Religion und allgemeine Verhaltensregeln. Darauf will ich hinaus.

Lullus hat einen Bewusstseins – Begriff benutzt, der sehr modern ist. Das konnte er aber noch nicht erklären. Damals waren Atome noch unteilbar, heute sind sie aus einem Zoo von noch elementareren Teilchen zusammengesetzt, die dazu dienen, Atome entstehen zu lassen und daraus zusammengesetzte Elemente. Usw … d.h. der ganze Entstehungsprozess des Kosmos (einschliesslich Gott) ist demnach in sich selbst enthalten. Die moderne Physik kann das erklären, aber nicht das, worauf es ankommt.
 
Auch das Problem, das Treten in Fettnäpfchen zu vermeiden, löst er nicht, zumindest nicht systematisch. Kenntnisreiche Regierungsberater, werden das nur zufällig zu Wege bringen. Weil sie nämlich an eine systematische Denkbremse stoßen, die zu überwinden auch erst einmal gelernt sein will.

(Aber nicht jedes Fettnäpfchen ist gefährlich. Es gibt ein berühmtes, in das Helmut Kohl getreten ist. Es hat seine Erfolgsgeschichte nicht verhindert. Anlässlich eines Besuches in Amerika hat er Gorbatchoff mit Göbbels verglichen. Das war wirklich abschätzig gemeint, hat aber seiner Freundschaft mit ihm nicht geschadet, obwohl die deutsche Presse das Ereignis hochgespielt hat.. Die Wiedervereinigung kam doch und mit ihr viele weitere Fettnäpfchen. Blühende Landschaften gab es in der DDR auch vor der Wende und es gab wenige Abseitswähler.)

An der UNI Freiburg gibt es ein Institut, das Raimundus Lullus im Namen führt. Sie sind 2015 bekannt geworden, weil sie die lateinischen Texte des Lullus ins Deutsche übersetzt haben (49 Bände), noch nicht alle. Lullus hatte sie damals aus dem Arabischen übersetzt. Der eigentliche Urheber war Averroes (so hiess er bei den Lateinern), der die griechischen Schriften des Aristoteles ins Arabische übersetzt hatte und sie kommentierte. Er wurde auch der Kommentator genannt.
Der Witz der Angelegenheit ist allein daraus nicht ersichtlich. Er wird deutlich, wenn Folgendes hinzu kommt. Der Kommentator war westlicher Muslime, die eigentlichen Muslimen kommen aber aus Arabien im Osten und haben sich auch mit den griechischen Schriften befasst. 

Ihr berühmtester Gelehrter al-Ghazli beschäftigte sich ebenfalls mit Aristoteles und kam zu dem Ergebnis, griechische Philosophie reiche nicht aus, Lebensfragen (also die wichtigen) zu beantworten. Das ist eine Position, die auch von Anfang an im Christentum hoch gehalten wurde, vor der Renaissance war griechische Philosophie im heiligen römischen Reich so gut wie unbekannt.

Die Sorbonne wurde gegründet. Sie stützte sich auf Lullus (Averroes). Daraus entwickelte sich die Scholastik, die sich aber nicht mit Physik befasste, sondern mit Gottesbeweisen. Da wird die Zweischneidigkeit der Rationalität sichtbar. Wenn du Gott beweisen kannst, wozu brauchst du ihn dann noch? Die Griechen selbst sind damals darauf nicht hereingefallen. Sie haben Rationalität als schönes Spiel betrachtet. Wenn sie wichtige Fragen hatten, sind sie zum Orakel gegangen und haben über die rätselhaften Sprüche nachgedacht. Theaterbesuch war religiöse Pflicht. In den Dramen von Aichylos, Sophocles, … findest du Antworten auf wichtige Fragen, die heute noch gelten, aber von Besserwissern nicht beachtet werden. Intellekt und Geistfeindlichkeit sind enge Verwandte. Diese Fragen formen außerdem das Bewusstsein eines Menschen. Im christlichen Europa war Glaubensgewissheit immer ein Problem, in Japan war immer Wissensgewissheit ein Problem. Sie sagen: Götter muss man fühlen, nicht daran glauben. Das sind die voneinander abweichenden Positionen, die ein jeweils anders denkender Bewusstseinsträger erst gar nicht in Betracht zieht, aber er ist höchst beleidigt, wenn andere dagegen verstoßen. Das ist die Stelle,wo die Fettnäpfchen lauern. Hinzu kommt die Schlange aus dem Sündenfall, sie verwirrt die Gemüter. Weil die Gemüter auf ihrer Position beharren.

Das ist mit ziemlicher Sicherheit ein wichtiger Punkt von Bewusstsein, zu dem auch noch andere Aspekte gehören mögen. Bei der Geburt eines Menschen hat er ein Bewusstsein erhalten, das nicht ausgeformt ist, er muss noch laufen, sprechen, lernen … was ihm aus seiner Umgebung beigebracht wird. Das ist bei einem Europäer etwas anderes, als bei einem Japaner. Ein erwachsener Mensch hält für selbstverständlich, was ihm beigebracht wurde. Aber ist es das auch? Nein, erst wenn er es erlebt, begreift er, dass ein Japaner von anderen Voraussetzungen ausgeht und dann erst kann er darüber nachdenken, welche das sind. Normalerweise sieht ein Mensch nur was er schon kennt. Er kann jedoch darüber hinauskommen (er hat die Fähigkeit dazu, sofern er sie ausnutzt).  
Das tun aber viele Menschen nicht. Das sieht man an der Berichterstattung in den Medien, die von Journalisten erstellt wird, die eigentlich so weit denken müssen sollten, wie oben beschrieben.
Ich habe mehrere alte „Spiegel“ und „Stern“ speziell über Japan. Auf der Titelseite steht: „Von Japan lernen? Nie“ Wenn das zutreffen würde, was sie schreiben, würde ich wohl auch nichts von ihnen lernen wollen. Die Journalisten und Berater denken anders, als das, was sie sehen könnten. Das gilt übrigens nicht nur für die Verhältnisse zwischen Deutschen und Japanern, sondern allgemein. Aber bei Menschen, die das Konzept der Wissenschaft verinnerlicht haben, ist die Neigung besonders hoch, aus Rechthaberei oder Besserwisserei zu übersehen, was wirklich ist.
 Beispiel: Europäer sind überzeugt davon, dass Wissenschaft ein gutes Konzept ist. Wissenschaft verspricht durch logisches Schliessen selbständig darauf zu kommen, was wahr ist. Sie haben das Konzept in ihrer Kultur angewandt, um eine Überlegenheit über Unterentwickelte aufzubauen. Deshalb glauben sie, das Konzept sei allgemeingültig. In Wirklichkeit ist seine Gültigkeit aber nicht bewiesen und das haben kluge Menschen aus anderen Kulturbereichen längst erkannt. 

Wer glaubt seine Errungenschaft sei allgemeingültig, tendiert dazu besserwisserisch zu werden. Japaner sind in ihrer Kultur auf Polytheismus eingestellt. Sie kennen nicht das Problem der Glaubensgewissheit und sind deshalb tolerant. Aber sie sind empfindlich wie die Mimosen. Die ganze Meiji-Zeit über waren sie damit beschäftigt, die ungleichen Verträge auszugleichen, weil sie sich davon beleidigt fühlten (das sind nur Beispiele für unterschiedliche Prägungen des Bewusstseins. Rasse, wie manche Leute annehmen, ist viel weniger dafür verantwortlich, siehe: Richard Huber, „Animalisation oder Cerebralisation, die Alternative in der Evolution der Menschen. Freiburger Univeresitätsblätter, Heft 72, Juni 1981, Verlag Rombach, Freiburg, Göthe mit seinem Zwischenkieferknochen, hatte die Evolutionsforscher auf ihre Ideen gebracht.)

Zu dem Problem, warum die Japaner heute keine Christen sind, spielt die Ansicht von Kagawa und Ushimura bestimmt eine Rolle. Generell sollten sich Westler fragen, warum sich in China nicht die Christen Sun-Yat sen und Chiang-Kai scheck, sondern der Atheist und Konfuzianer Mao durchgesetzt hat, warum die Koreaner zu mehr als 50% Christen sind - die meisten zumindest früher, in Nordkorea. Die Südkoreaner sind nach den Amerikanern die häufigsten christlichen Missionare. Warum die Il-Kane, die Nachfolger von Djingiskan, die in Zentralasien mächtige Reiche errichteten, Muslime geworden sind, obwohl Djingiskans Verwaltungselite aus nestorianischen Christen bestand. An den Nestorianern lag es nicht. Die Mutter von Kubaili-Kahn, dem Kaiser von China zur Zeit von Marco Polo und eines anderen Großkahns war Christin.

Wenn das undeutlich war, was ich schrieb, dann ist das hier vielleicht ebenso undeutlich, aber es ist der Vers, den ich mir über die Dinge mache. So verstehe ich die Welt. Komme ich auf einen besseren Gedanken, würde ich den gestrigen vergessen.
Gruß Friedhelm


Interkulturelle Missverständnisse vermeiden
Gottfried W. Wollboldt

Im Jahr 2011 wurde des 150ten Jahres der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Japan gedacht. Von den Deutsch/Japanischen Gesellschaften in Deutschland wurde für das ganze Jahr eine Reihe von Veranstaltungen vorbereitet, um der Bedeutung des Ereignisses gerecht zu werden. Japan liegt zwar am entgegengesetzten Ende der eurasischen Kontinentalscholle, etwa 10.000km von Deutschland entfernt. Doch solche Entfernungen spielen heutzutage keine Rolle mehr im Gegensatz zu einstmals.
Viele Menschen auf beiden Seiten hielten die Erinnerung an den Bündnispartner aus dem zweiten Weltkrieg im Gedächtnis. Aber das war lange her. 2011 kamen sich beide Länder als zweit- und drittgrößte Weltwirtschaften nahe. Das war schon etwas, dem Rechnung getragen werden sollte. Politische Streitpunkte gab es 2017 keine. Anders als im Zeitlauf der gemeinsamen Geschichte, in der es sowohl Sympathien gab als auch Kriegsgegnerschaft, ungleiche Verträge, den „Tripartiten Einspruch“ und Fettnäpfchen, in die allgemein getreten wurde.

Doch dann geschah in Japan ein Erdbeben mit Tsunami und wichtige Kernkraftwerke gingen in Flammen auf. Früher galten Flammen über Städten als besonders schlimm, aber über Atomkraftwerken, das war etwas anderes. Damit war das Feiern beendet und wich einer Phase der Anteilnahme.  

Auch die Ankunft der vier Schiffe der Eulenburgmission1 1859 war von Unglück begleitet, die „Frauenlob“ ging mit Mann und Maus unter, als der Konvoi aus vier Schiffen sich Japan näherte. Japan liegt im Bereich der Taifune.

Schließlich kam 1861 ein Vertrag zustande, der preußischen Schiffen japanische Häfen öffnete, nicht etwa allen Schiffen des Zollvereins, der die Mission ausgesandt hatte. Das galt bei den Japanern bereits als Erfolg, denn der Vertrag war wie die anderen, die mit Westlern abgeschlossen worden waren ungleich, aber im japanischen Sinne bereits modifiziert. Allerdings nicht ausreichend, weshalb der japanische Unterhändler sich umbrachte. Auch Eulenburg hatte nur in China vollen Erfolg, sie gaben seinem Verlangen nach, als sie hörten andernfalls 30 Verträge mit den Mitgliedern des Zollvereins aushandeln zu müssen. In Thailand hatten sie keinen Erfolg, weil die thailändischen Unterhändler erklärten, Deutschland nicht genau genug zu kennen. Das zeigte sich bald in den Beziehungen, die häufig gestört wurden aus gegenseitigem Missverstehen. Die Lebensumstände in westlichen und östlichen Ländern gründeten auf unterschiedlichen Ideologien, was Verstehen erschwert.
 
Ziel des folgenden Textes ist es, strukturelle Ursachen für Missverständnisse zu erkennen,
um sie zu vermeiden. Ein Beispiel für die gemeinten Missverständnisse, war der Staatsbesuch von Angela Merkel 2018, wo sie den Japanern ein Kompliment machen wollte, indem sie auf die deutsche Entscheidung hinwies, aus der Stromerzeugung durch Atomkraft auszusteigen, die wegen des Unfalls in Fukushima zustande gekommen sei. In Japan wurde dieser Hinweis nicht als Kompliment aufgenommen, sondern als unpassende Einmischung in interne Angelegenheiten. 
In Deutschland hatte niemand daran gedacht, dass es in Japan außer den Atomkraftgegnern und Atomkraftbefürwortern auch noch Opfer von Atombomben gab, die Fragen stellten. Die Lobby der Befürworter von Atomtechnologie hielt sie für sicher und versprach sich Wunder von ihrem Einsatz. Inzwischen traten mehrere schwerwiegende Unfälle auf, was die Glaubwürdigkeit der Befürworter beschädigte. Der Aufbau von Atomkraftwerken war also keine Angelegenheit der Japaner allein, sondern sie vertrauten auf die globalisierte Meinung der Befürworter und fühlten sich verhöhnt, als sie kritisiert wurden, weil deren Vorhersagen nicht eingetreten waren. 

Solche Missverständnisse bleiben nicht ohne Folgen. Beide Seiten waren bekümmert, weil, was ihnen wichtig war, von der anderen Seite nicht gesehen und verschwiegen wurde. 

Deutsche Journalisten monierte die japanische Berichterstattung über die Atomunfälle, die schwerwiegende Schäden und Gefahrenquellen verschwiegen hätte. Sie berichteten aber nichts über japanische Problemlösungen für Situationen, die unerwartet aufgetreten waren. Vorher hatte niemand daran gedacht und demnach keine Problemlösung parat.
   
Die japanische Seite konterte mit einer weit verbreiteten Ankündigung eines öffentlich gezeigten Filmes „Schweigen“ der darstellte, wie der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer es fertig gebracht hatte, die Auschwitzprozesse stattfinden zu lassen, die ohne seine Bemühungen nicht stattgefunden hätten. In diesem Fall handelte es sich um eine zweiseitig deutsch / japanische Angelegenheit. 

Das Thema „Schweigen“ hat aber auch einen japanisch / europäischen besser westlichen Aspekt. In dem Buch „Schweigen“ von Endō Shûsakû, dem häufig übersetzten japanischen Schriftsteller katholischen Glaubens wird es angesprochen. Shûsakû wird auch mit Graham Green verglichen, dessen Themen um Schuld und Sühne kreisen. Der Autor wollte damit nicht Fronten aufbrechen, sondern Gegensätze ausgleichen und schilderte ein ganzheitliches Bild nicht nur der staatlichen Maßnahmen gegen aufständische Christen, sondern auch die Verirrungen beider Seiten, die aufeinander prallten. Staatliche japanische Stellen rechtfertigten ihre Maßnahmen mit dem Hinweis, dass ihnen durch die shintoistischen Götter geholfen worden sei, ebenso wie 300 Jahre zuvor bei den Mongoleneinfällen durch Götterwinde (Kamikaze), der christliche Gott habe seinen bedrängten Anhängern jedoch nicht geholfen.

Auch ein europäischer Film trug den Titel „Schweigen“ und handelte von dem christlich initiierten Volksaufstand bei Shimabara 1639, der wesentlich zum Verbot des Christentums und zur Abschließung Japans beitrug. Der Film brachte in einprägsamen Bildern, die Folterungen der vom traditionellen Glauben abgefallenen Japaner ins Bewusstsein sowie die aufopferungsvolle Arbeit der fremden Missionare. Die Erstaufführung hatte im Vatikan stattgefunden, was einer Unterstreichung gleichkommt. Der Film stellte also einen Vorwurf an die japanische Adresse dar, der aber nicht angenommen wurde.

Anklagen oder Anschuldigungen sowie Vorwürfe und Rückweisungen verfolgen jeweils einen Zweck, der nur dann erreicht werden kann, wenn Voraussetzungen erfüllt sind.
Der jeweils Angesprochene muss verstehen, was der Sprecher meint. Erst wenn er es verstanden hat, kann der Angesprochene darauf reagieren, die Anschuldigung annehmen oder zurückweisen oder auf einen Irrtum hinweisen. Unbegründete Anschuldigungen führen nicht zur Einsicht, sondern zu Vorbehalten und Beleidigungen. Haben Anschuldigende nicht die Aufgabe, sich umfassend zu unterrichten, bevor sie Anschuldigungen erheben?  

In den geschilderten Fällen wurden die realen Ereignisse mit ideologisch gefärbten Brillen betrachtet, was normalerweise nicht zur Lösung eines Problems beiträgt, sondern zur Verärgerung.

Wir wollen uns damit beschäftigen, heraus zu finden, woher unterschiedliche Betrachtungsweisen kommen. Ein Grund könnten angeborene menschliche Eigenschaften sein, also rassische Unterschiede. Eine Zeit lang war diese Begründung insbesondere in Europa sehr beliebt. Aber nicht alle Hochkulturen sind von ein und derselben Rasse entwickelt worden. Deshalb fällt Rasse als unverzichtbares Merkmal für die Entwicklung von Hochkulturen aus und kann auch nicht als Begründung für interkulturelles Missverstehen angezogen werden. Mentalitätsunterschiede werden zur Erklärung angegeben und damit interkulturelle Missverständnisse als Naturereignisse erklärt.

Mentalität betrifft den Zustand des menschlichen Verstandes und Bewusstseins. Der kann normal sein aber auch krank. Wir wollen ihren Zustand der Normalität als Erklärungsversuch für Missverständnisse betrachten. 
Es gibt eine Betrachtungsweise, nach der alle Menschen gleich sein sollen, aber ihrem Aussehen nach gibt es nicht zwei, die einander genau gleich sind. Doch nach verschiedenen Merkmalen betrachtet, sind alle in unterscheidbare Gruppen einzuordnen, in Männer, Frauen und Kinder, in Schwarze, Weiße, Gelbe und Rote in Engländer, Franzosen, … und Deutsche, als Angehörige einer Religion. Manchmal braucht die Frage nach Religion nur durch katholisch oder protestantisch beantwortet werden, dass es auch andere gibt, wird völlig außer Acht gelassen. Dabei handelt es sich um eine Frage des Bewusstseins. Bewusstsein ist die Instanz eines Menschen, die ihm sagt, was richtig oder falsch ist, was gut oder böse ist, was schön oder hässlich ist, was er tun oder lassen soll usw… Der Bewusstseinszustand macht ihn zum Individuum und zum Gemeinschaftswesen zugleich. Zum Gemeinschaftswesen wird er, weil er bei der Bewusstwerdung viele Gedanken von anderen Menschen übernimmt, von seinen Eltern, seiner Familie seinem Dorf.  

Alle Lebewesen haben Bewusstsein. Bei ihrer Geburt aber nicht alle den gleichen Verstand oder Fertigkeiten. Nach der Geburt muss das Bewusstsein hinzulernen, z.B. Sprechen, Laufen, um überhaupt lebensfähig zu sein, aber auch Schreiben, Verstehen und es stellt Fragen, zunächst einfache: „Wo ist Mama (die gestorben ist)?“, später komplizierte: „Was soll ich im Leben tun, soll ich etwas erreichen oder wie die Tiere einfach nur essen und schlafen solange bis ich sterbe?“

Solche Fragen wurden auch gestellt, als die Menschheit die Schrift noch nicht erfunden hatte.
Deshalb wurden sie mündlich beantwortet, wahrscheinlich zuerst von Oma, die den Kindern eine Einschlafgeschichte erzählte, auf die sie wohl auch damals nicht verzichten wollten.
Oma erzählte von ihren Erlebnissen, was sie und die Nachbarn tagsüber getan hatten, aber auch von Lebensfragen, was sie selbst darüber dachte und was in ihrem Kreis darüber gesagt wurde. Daraus entstanden Sagen, Märchen und Mythen, nachdem das Schreiben und die Literatur erfunden worden war. 

Ähnlich wie mit ihrer Gestalt ist es mit ihrem Bewusstsein, einerseits sind alle Menschen gleich, andererseits nicht zwei genau gleich. Weil das Bewusstsein aufgeladen wird mit Lehrstoff, der das Ergebnis der Erfahrungen einer Gemeinschaft von Menschen ist, bekommt das Bewusstsein eines Neugeborenen einen seiner Herkunft entsprechenden Zustand, so dass er auch an diesem als Japaner, Chinese oder Europäer erkennbar ist. 

Demnach müssen wir herausfinden, welche Gedankengänge, Ideologien, Phantasien sie als Angehörige einer Gruppe von Menschen prägen. Am einfachsten ist es mit der Sprache. Dass Sprache ein einigendes, aber auch trennendes Band ist, kann nicht bezweifelt werden. Gedanken, also das, was das Bewusstsein bewegt, sind nicht materiell und trotzdem existent und gebunden an das, was da ist und erlebt wird. 

Beispielsweise wird ein polytheistisch erzogener Mensch sich nicht von einem anderen Menschen abwenden, weil dieser einen anderen Gott verehrt als er selbst. Umgekehrt wird ein monotheistisch erzogener Mensch wahrscheinlich Bedenken entwickeln, wenn er auf einen Menschen trifft, der nicht den gleichen Gott verehrt, wie er selbst. Der andere Gott ist der falsche, wenn der eigene der richtige ist. Dann wird nicht nur sein Missionseifer entfacht, sondern auch sein Wahrheitsempfinden. Was falsch ist kann nicht gleichzeitig wahr sein. Westeuropäer stehen aber noch vor einem anderen Problem, sie fühlen sich als Nachfahren der antiken Griechen, die das Konzept der Wissenschaft erfunden haben. Ihr Gott ist natürlich wissenschaftlich verifiziert, dann muss ein anderer falsch sein. Falschheit darf nicht geduldet werden.

Allerdings haben sich Westeuropäer nicht immer als Jünger der Wissenschaft verstanden. Sie ist erst im Zeitalter der Renaissance und der Entdeckungen, also nach den Kreuzzügen (1290) in ihr Bewusstsein getreten und hat dort ganz andere Auswirkungen gezeitigt, als bei den alten Griechen. 

Thales von Milet (6. Jh v. Chr.) gilt als Erfinder des Konzeptes der Wissenschaft, denn er bewies den „Satz vom Halbkreis des Thales“, der besagt, dass wenn von den zwei Schnittpunkten einer Linie mit einer Kreislinie, die den Kreis in zwei gleiche Halbkreise teilt und von dort zwei Linien so gezogen werden, dass sie sich auf der Kreislinie treffen, die 
beiden Linien einen Winkel von 90° miteinander bilden, ganz gleich auf welchem Punkt der Kreislinie sie sich treffen. 
Mit seiner Methode hatte Thales einen Weg gefunden, nicht nur eine wahre Aussage für einen Einzelfall zu machen, sondern für alle möglichen Dreiecke, deren drei Eckpunkte die Schnittpunkte der Durchmesserlinie mit einem anderen Punkt auf der Kreislinie waren. Er hatte unendlich viele Fälle durch einen einzelnen Beweis bewiesen. Außerdem soll er beobachtet haben, dass flüssiges Wasser, Wasserdampf und Eis ein und derselbe Stoff in unterschiedlichen Erscheinungsformen sind. Daraus stellte er die Vermutung auf, es gäbe Axiome, einfache einsichtige Feststellungen, die im gesamten Kosmos gültig seien, aus denen durch vernünftige (logische) Schlussfolgerungen alle Fragen, die das Leben stellt, korrekt beantwortet werden können. Das genau ist das Konzept der Wissenschaft. Ein großartiges und plausibles Konzept, das von vielen Menschen aufgenommen wurde, aber die Allgemeingültigkeit dieses Konzeptes ist bisher nicht bewiesen worden, wohl aber sein Satz über den Halbkreis, wenn vorausgesetzt wird, dass alles in der Welt durch Lineal und Zirkel rekonstruierbar sei.

Dafür hat er einen mathematischen Beweis erbracht. Mathematik ist als eine Methode zu betrachten, ähnlich der der Logik, die zu neuen Erkenntnissen führt, einfach durch Nachdenken gemäß festgelegter Regeln. Die Griechen waren sehr begeistert von diesem Konzept, aber es gab immer auch Skeptiker. Nicht nur durch Vernunft (seinen Verstand) wird ein Mensch klug, auch durch Intuition und durch transzendente Offenbarung. Schon Sokrates hatte festgestellt, dass Phidias, der Schöpfer einer bewunderten Statue des Zeus, nicht erklären konnte, warum sie schön war. In den Religionen werden Menschen in der Regel durch Offenbarung klug und gerettet. Aus dieser Ambivalenz entwickelten sich Missverständnisse und Konflikte, auf die hier hingewiesen werden soll.

Offensichtlich haben die Griechen an eine Möglichkeit ihrer Idee der Wissenschaft nicht gedacht, sie kann sie nämlich gottgleich machen. Wenn Menschen aus eigenen Fähigkeiten die Welt erklären und gestalten können, wozu brauchen sie dann noch einen Gott, der alles geschaffen haben soll? Die Griechen hatten zwar recht menschliche Götter, wenn es aber um wichtige Dinge ging, befrugen sie ihre Orakel, die ihnen den Willen der Götter kundtaten, der ihnen häufig rätselhaft war. Diese Grenze, die die Griechen beachteten, wurde erst viel später von den Westeuropäern überschritten. Sie mischten den faustischen Geist hinzu, einen Geist der ein Risiko eingeht, den Bund mit Mephisto. Der Mann, der seinen Schatten verkaufte, eines vordergründigen Vorteils willen, aber dann feststellte, zu teuer gekauft zu haben.

Als geographische Entfernungen noch ein Hindernis waren, gemeinsam zu leben, setzten sich im Bewusstsein der Menschen unterschiedliche Antworten auf ihre wichtigen Fragen fest. Diese Fragen werden auch als Menschheitsfragen bezeichnet: Was ist nach dem Tod? Wo komme ich her? Was soll ich tun? Gibt es einen Gott, Geister und Ahnen, die ich durch Opfer 
und gutes Benehmen bei Laune halten soll?

Falls ein Schöpfergott vor der Erfindung der Schrift zu den Menschen gesprochen haben sollte, dann können seine Worte nur mündlich an die späteren Stellen überliefert worden sein, die sie schriftlich fixiert haben. Dabei können Fehler unbeabsichtigt aber auch beabsichtigt eingeschlichen sein. Also ist Skepsis geboten.

Als ältestes Artefakt einer schriftlich niedergelegten Schrift, einer Keilschrift, haben Archäologen eine Tafel gefunden, die Atrahasis-Epos genannt wird. Sie ist 3800 Jahre alt. Sie beginnt mit den Worten „Als Götter und Menschen noch gleichrangig waren.“ und erzählt von der Erschaffung der Menschen und Streit unter den Göttern. Auch das weniger alte Gilgamesch-Epos erzählt vom König der Stadt Uruk, der glaubte genug geleistet zu haben, um Göttlichkeit und ewiges Leben beanspruchen zu können und von einer Flut, die später von den Israeliten in ihre Schriften als die Sündflut zur Zeit Noahs aufgenommen wurde. Daraus entstand die Genesis der Israeliten, die Bestandteil des alten Testaments, der christlichen Bibel wurde. 
Etwa gleichzeitig entstanden die homerischen Schriften der Griechen sowie die chinesischen Schriften, die sie die Klassiker nennen. Die ersten schriftlich fixierten Berichte behandeln also Themen, die später als religiös bezeichnet wurden. Animisten führen ihre Ursprünge auf Geister und Dämonen zurück, was als primitiv empfunden werden kann. Doch die „Philosophie Bantou“ die zuerst von Placid Tempels 1949 beschrieben wurde, kündet von grundlegenden Denkweisen der Afrikaner, die sich durchaus mit den griechischen messen können, aber sich deutlich von ihnen unterscheiden. Es muss davon ausgegangen werden, dass das Bewusstsein eines Afrikaners anders geprägt ist als das eines griechisch gebildeten Menschen. 
Z.B. unterscheiden einige Menschen, wenn sie „Materie“ meinen tote Materie, von lebender Materie, Leben von Leben mit Geist und von Seele. In der Wissenschaft wird organische Chemie von der Chemie der unbelebten Stoffe unterschieden. Müssen Geist und Seele auch für chemische Gegenstände gehalten werden? Wer hat Menschen gesagt, dass es solche Gegenstände gibt, sind es nicht einfach nur Worte? Placid Tempels legt dar, dass diese vier Begriffe auch ganz anders erklärt werden können, nicht weniger logisch als die Griechen es taten, nämlich die eine existierende Materie kann durch Götter, Geister, Ahnen, schwarze und weiße Zauberer von einer Form in die andere verwandelt werden, durch ihre mentalen Kräfte. 

Die älteste Schrift Japans, die sich mit der Entstehung des Landes beschäftigt sowie der Begründung der Shinto-Religion und der göttlichen Beauftragung einer bestimmten Familie, das Land zu beherrschen, stammt aus dem Jahr 711 n. Chr. Diese Schrift fasst Mythen und mündliche Berichte aus der Jomon- Kultur zusammen, die nicht auf die japanischen Inseln beschränkt war und mindestens 10.000 Jahre zurück reicht. Der Herrscher des Landes wurde von der Sonnengöttin beauftragt, das Land zu regieren2. Als Lohn für Ergebenheit und Treue zum Herrscherhaus, wurde der Gemeinschaft eine gerechte Regierung versprochen. 
                                                                                                                                             
Auch die alten japanischen Schriften behandeln Menschheitsfragen und schlagen Opfer vor, die die Menschen den Göttern, Geistern und Ahnen zu bringen haben, damit sie bei guter Laune bleiben und Krankheiten und sonstige Misshelligkeiten von den Menschen fernhalten. Krankheiten und Misshelligkeiten wurden nicht als Folge von natürlichen Vorgängen betrachtet, sondern als von übernatürlichen Wesen verhängt. 

Eine grundsätzlich andersartige Denkweise setzte erst mit dem Pfingstereignis ein, das im Jahre 29 n. Chr. stattfand und als das Gründungsereignis der christlichen Religion gilt. Anders als die alten Religionen, die Opfer von den Menschen forderten, um Götter, Geister oder Ahnen günstig zu stimmen, hatte sich der christliche Gott selbst geopfert, um Menschen zu erlösen.
Zunächst war das nur eine Idee, an die derjenige glauben musste, der sich erlöst sehen wollte.
Bis heute hat sich diese Idee zu der am weitesten verbreiteten Religion entwickelt.
Wir wollen hier nicht die Entstehung der christlichen Religion beschreiben, sie sollte in der Bibel nachgelesen werden, sondern den Anschluss an japanische Denkweisen und sonstige interkulturellen Besonderheiten nachgehen, die Anlass zu Missverständnis geben, wenn sie nicht gewürdigt werden.
                                                                                                                                        
Die Denkweise der Westeuropäer in der Zeit, in der sie Kontakt zu Japan aufgenommen haben, ist stark vom Christentum geprägt, allerdings nicht in der Form, in der die Japaner das Christentum verstehen. Die Japaner verstehen das Christentum so, wie es in der Bibel geschildert ist, nämlich ein Gott hat sich selbst dafür geopfert, Menschen von Zwängen zu befreien, in die sie sich mehrheitlich durch eigene Handlungsweisen gebracht haben. 

Auch die Juden und Griechen haben in der Anfangszeit das Christentum so verstanden, was im Neuen Testament in den Evangelien und insbesondere den Schriften des Paulus nachgelesen werden kann. Aber zu ihrer Zeit war Rom das Machtzentrum der Welt, die Verlockung, von diesem Zentrum angezogen zu werden, war real vorhanden. Aber es gab auch andere kulturelle Zentren, z.B. Antiochien und Alexandrien, die christliches Gedankengut analysiert haben und deren Ergebnisse später in Rom außer Beachtung gerieten, damit waren sie aber nicht verschwunden. Auch sie entfalteten Wirksamkeit in der Welt.

In Rom wurde das Christentum bald zur Staatsreligion und so institutionalisiert, dass die griechischen Ergebnisse zu Wissenschaft und gottgenehmer Anwendung von Vernunft in Vergessenheit gerieten. Erst mit den Kreuzzügen (1090-1290) kamen sie erneut in Kontakt mit den griechischen Schriften, denn bei den Muslimen wurden sie studiert und gepflegt. In Westeuropa entwickelte sich daraus die „Renaissance“ genannte Epoche. Die griechische Logik wurde in Westeuropa nun zur Grundlage der Scholastik, die sich mit der Erfindung von Gottesbeweisen beschäftigte. Auch die griechische Mathematik, die von den Arabern erweitert worden war, wurde in Westeuropa bekannt und wirkte dort anregend. Zuerst in den italienischen Handelszentren (Fibonaccizahlen). In dieser Zeit entstand auch die gotische Bauform, die sich in ihrer Kunstfertigkeit und geistigen Ausstrahlung mit Bauwerken, die in Südostasien zeitgleich oder früher entstanden waren, messen konnte. Einen weiteren kulturellen Auftrieb erlebte Westeuropa nach der Eroberung von Konstantinopel durch die türkischen Osmanen 1453. In Konstantinopel wurden die griechischen Schriften zwar gelagert aber in christlicher Zeit nicht beachtet. Viele griechisch sprechende Gelehrte wanderten nun nach Westeuropa aus, wo sie gern aufgenommen wurden, denn inzwischen war der Wert der griechischen Schriften auch dort wahrgenommen worden und die Menschen begannen, damit zu arbeiten.
 
Im Jahre 1883 wurde in Worms ein Denkmal an den Reformator Martin Luther eingeweiht. In seinem Sockel sind vier Vorgänger seiner Denkweise dargestellt, Thomas Waldus, John Wicklif, Jan Hus und Hironimus Savonarola. Alle Reformatoren machten auf das Auseinanderdriften der Ansichten der christlichen Gemeinde und seiner Führung aufmerksam und wurden deshalb angefeindet. Das Auseinanderdriften von Ansichten deutet Unterschiede in der Bewusstseinsbildung an. 

Parallel zu der geistlichen Entwicklung verlief die politische des römischen Reiches. In der Frühzeit wurden die Anhänger der neuen Religion verfolgt, weil sie sich der üblichen Kaiserverehrung nicht anpassten. Doch schon bald fanden die Machthaber seine positiven Eigenschaften heraus, machten es zur Staatsreligion und verknüpften es erneut mit mentalen Zwängen. Abweichungen von der Staatsreligion machte den Abweichler bei den Staatsträgern als Störenfried verdächtig.
Außerdem spaltete sich das Christentum in unterschiedliche Richtungen, der Kaiser konnte aber nur ein einheitliches gebrauchen, dessen Führung in seiner Hand liegen sollte. Deshalb war er es, der die führenden Geistlichen zu Konzilien einberief, dem ersten im Jahre 325 nach Nicäa, einem Ort in der Nähe seiner neuen Hauptstadt Konstantinopel, wo sie sich nach Anweisung des Kaisers auf eine schriftlich fixierte Grundlage ihres Glaubens festlegten, der Bibel. Dem letzten im Jahre 787, ebenfalls in Nicäa. 
In dieser 400 Jahre langen Zeitspanne ereignete sich eine Reihe von nicht vorher gesehenen Entwicklungen. Das Römische Reich spaltete sich in Ost und West. Rom wurde von Goten, Hunnen und Vandalen angegriffen und endete 476 als Staat. Der Papst war zu politischer Macht gekommen, das Oströmische Reich geriet mit den Sassaniden aus Persien in Konflikt. Der Islam breite sich aus, im Westen bis in die Mitte Frankreichs, frühe geistliche Zentren des Christentums, wie Antiochien und Alexandrien gingen in den Bereich der Muslimen über. Karl der Große, der neue Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches“ wurde im Jahre 800 vom Papst gekrönt, was Streitigkeiten zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft anlegte. Die geistliche Seite verlangte die Oberhoheit, was die weltliche sich nicht gefallen ließ. Das „Heilige Römische Reich“ war als universalistischer Herrschaftsbereich gedacht, genau wie der chinesische seinen als universalistisch auffasste. Allerdings war der europäische wohl von Anfang an auf die zum Christentum konvertierten Länder beschränkt, aber es gab den Missionsauftrag, Nichtchristen in aller Welt zu konvertieren. Was zunächst in Deutschland eine Rolle spielte, Sachsen und Slavenvölker wurden missioniert. Später im Zeitalter der Entdeckung weltweit.  

Zunächst blieben die Mißstimmigkeiten zwischen geistlicher und weltlicher Macht auf Papst und Kaiser beschränkt, später wurde die päpstliche Macht auch von den christlichen Königreichen in Zweifel gezogen, die zweifellos Mitglieder des „Heiligen Römischen Reiches“ waren. Beispiele sind Heinrich VIII, der die englische Kirche von der katholischen trennte und Philipp der Schöne von Frankreich, der die Päpste in die „Babylonische Gefangenschaft“ nach Avignon in Frankreich führte, sie also für seine Zwecke gebrauchte.   

Die Kirche nahm für sich in Anspruch, Studiengänge und Lehrinhalte der Schulen und Lehreinrichtungen zu bestimmen. Das führte zu Konflikten mit Menschen, die durch ihre Forschungstätigkeit zu abweichenden Ergebnissen gekommen waren. Ein bekanntes Beispiel ist die Erkenntnis des heliozentrischen Weltbildes durch Nicolaus Kopernikus. Es widersprach der kirchlichen Auffassung vom Aufbau der Welt und der weltlichen vom Aufbau der Gesellschaft, es wurde 1616 von der Kirche verboten. Die Schwierigkeiten, denen Nikolaus Kopernikus, aber auch andere wie Bruno Giordano, Galilei Galileo ausgesetzt waren wegen der Verkündung wissenschaftlich gewonnener Erkenntnisse, wurden von der Kirche ausgelöst, Charles Darwin und Sigmud Freud bekamen später mit ihren Ideen nicht nur Widerstand von der Kirche zu spüren, sondern sie dauern bis heute von Seiten der Kreationisten an. 

Die prägende Vorstellung von Wissenschaft im Bewusstsein moderner europäischer Menschen setzte sich nicht schlagartig durch, sondern langsam, Schritt für Schritt. 

Der Reformator Martin Luther machte dabei einen großen Schritt von der Kirche weg. Sie bot zu seiner Zeit keinen guten Eindruck, sie war in Geldnot wegen des Baus ihrer Prachtresidenz, dem Petersdom im Vatikan und verkaufte Ablassbriefe. Ablass war von Jesu Christus als „Wasser des Lebens“ bezeichnet worden und umsonst zu haben. Luther ließ sich nicht von der Handlungsweise der Kirche beirren, sondern studierte die Bibel und fand insbesondere im Römerbrief die Schriftstelle, in der klar ausgedrückt wurde, dass die Errettung der Menschen eine Gnadengabe war, die nur angenommen werden musste. Damit brachte er die Kirche gegen sich auf, aber seine Lehre wurde vom Volk aufgenommen und seine Freunde schützten ihn, so dass ihm nicht angetan werden konnte, was andere Querdenker erlebten.
Die Lehre Luthers fand breite Anerkennung im Volk, und entschiedene Ablehnung bei der Kirchenführung und sympathisierenden Königreichen, es kam zu Krieg und Volksaufständen, zur Trennung der Kirche in Katholiken und Protestanten. Europa wurde neu gegründet. Der Friede von Münster und Osnabrück 1648 gab Europa eine neue politische Ordnung, in der alle unabhängigen Teilstaaten, ob groß oder klein gleich behandelt werden mussten, der Fürst von Lichtenstein ebenso wie der römische Kaiser.i Europa verfiel in einen
katholischen und einen protestantischen Teilbereich, wobei der protestantische beanspruchte, einen größeren Beitrag zur Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards geleistet zu haben.
 
In Frankreich war inzwischen die geistige Entwicklung der Renaissance weiter gegangen.
Wegbereiter waren Personen wie Fermat, Descartes und Pascal. Sie hatten ihre philosophischen Erkenntnisse an mathematische Ergebnisse geknüpft. Die ersteren sind spekulativ die letzteren können überprüft werden und bauen Prestige auf, das Spekulation glaubwürdig macht. Die Methode der Wissenschaft förderte nicht nur die Erkenntnis von Wahrheit durch Rationalität, sondern auch den Unglauben an vorgegebene Wahrheiten, die in Verdacht geraten waren nicht zuzutreffen. Traditionell „heilige Schriften“ verloren ihre vorausgesetzte Glaubwürdigkeit. Nach dem Ende von lang andauernden Kriegen bekam diese Entwicklung in Preußen durch die Gründung der Universität Halle eine neue Form. Sie führte die Lehrmethode des Seminars ein, in der die Lernenden selbst bestimmten, was sie studieren mussten, nicht mehr was die Kirche mit ihrem Monopol auf Orthodoxie angab. Das Ergebnis war der Philosoph Immanuel Kant aus Königsberg mit seinen drei Büchern, die sich als einflussreich herausstellten und seine Denkrichtung verdeutlichen: „Kritik der reinen Vernunft“, „Kritik der praktischen Vernunft„ und „Kritik der Urteilskraft“.   
Er hatte sich zum Ziel gesetzt, heraus zu finden, was gemeint sein könnte mit dem Satz der Genesis aus der Bibel, Gott habe die Menschen „nach seinem Bilde“ geschaffen. Die alten griechischen Philosophen hatten wahrscheinlich angenommen, damit sei die Vernunft oder Denkfähigkeit der Menschen gemeint. Wenn die ausreichen sollte, alle Lebensfragen zu beantworten, können Menschen auf die Existenz Gottes tatsächlich verzichten. Die alten Griechen waren soweit nicht gegangen. Aber die Scholastiker, sie hatten die altgriechischen Erkenntnisse zu Logik und Wissenschaft benutzt, absolute Gottesbeweise zu liefern ohne zu merken, dass sie Gott damit überflüssig machten. Kant war ihnen auf die Schliche gekommen. Er hatte bemerkt, dass Logik, also reine Vernunft nicht ausreicht, Lebensfragen zu beantworten. Dazu sind auch andere menschliche oder göttliche Eigenschaften erforderlich wie Intuition, transzendente Belehrung, künstlerische Empfindung. Also ist das “im Bilde Gottes geschaffene Wesen“ kein reines Vernunftwesen.

In Deutschland entwickelte sich aus den Ergebnissen Kants, einerseits eine Wissenschaft, die praktischen Dingen nachging und die Grundlage der späteren industriellen Entwicklung wurde und andererseits die idealistische Philosophie, die wiederum Atheismus und Materialismus förderte, wie z.B. den Kommunismus, was nicht unbedingt etwas Böses ist, denn die sich ausbreitende Industrialisierung entwickelte nicht ein allgemeines Paradies, wie manche hofften. Wenn Blitz und Donner nicht mehr als Spielzeuge der Götter verstanden wurden, des Jupiter, Zeus, Wotan oder Thors, sondern als elektrische und thermodynamische Vorgänge mit Hilfe der Mathematik und Logik aus wohlbekannten Naturgesetzen erklärt werden konnten, wozu wurde dann noch Gott gebraucht? Wenn es Naturgesetze gab, die physikalische, materielle Dinge erklärten, warum sollte es dann nicht auch Gesetze geben, die 
gesellschaftliche Verhältnisse erklären und eingesetzt werden können, um die Verhältnisse in der Gesellschaft harmonisch zu halten, wie die Kommunisten vermuteten, obwohl ihr Konzept des Klassenkampfes sich bisher nicht als Problemlösung erwiesen hat.

Die altgriechische Idee der Erklärbarkeit der Welt durch Wissenschaft, das heißt durch einen Satz von selbstverständlichen Annahmen über den Kosmos, genannt Axiomensystem und einen weiteren Satz von Denkregeln, die sich in der Logik und der Mathematik darstellen lassen, fand einen Höhepunkt in der Aufstellung der Gravitationsgesetze des Isaak Newton. Lange Zeit galten sie als endgültige Antwort auf alle Fragen, die mit Bewegung zu tun hatten, was sehr erfolgreich war für die Lösung praktischer Probleme, die mit Fortbewegung und mechanischer Stabilität zusammen hingen. Ein wesentlicher Beitrag zum Industriezeitalter. Doch im 20. Jahrhunderts stellte sich heraus, dass die Gravitationsgesetze nicht das Nonplusultra auf alle Fragen der Bewegung waren. Max Planck und Albert Einstein brachten neue Ideen in das Problemfeld, die nicht mit offenen Armen aufgenommen wurden, aber heute im ganzen Kosmos als gültig festgestellt wurden. Ist damit die Annahme erfüllt, 
alle Fragen könnten durch Wissenschaft oder rationelles Vorgehen gelöst werden? Leider nicht. Albert Einstein hat in seinem Buch „Die Evolution der Physik“3 anschaulich geschildert, wie der heutige Erkenntnisstand zustande kam und wahrscheinlich nicht der endgültige sein wird. Er kam durch Versuch und Irrtum zustande, nicht allein durch rationales Denken, dem auch. Der Weg wurde von Aristoteles beschritten, ging über Galileo Galilei, Isaak Newton, Planck und Einstein. Ihm selbst sind seine Annahmen auch nicht geglaubt worden, sie haben sich experimentell als zutreffend erwiesen, er selbst hat sie aber nie als endgültige Wahrheit betrachtet. Neue Fragen werden gestellt. Die Wahrheit stellt keine Fragen mehr! Sie beendet die Kette von Fragen.

Das Bewusstsein der Europäer ist aus der Erfahrung geprägt, die sie aus dem griechischen Wegweiser Wissenschaft und Rationalität gesammelt haben, er führt sowohl zu erstaunlichen Erkenntnissen, als auch zu Spekulationen.

Nichteuropäischen Beobachtern fällt der Drang zur Rationalität schnell auf und sie teilen ihn nicht, weil ihnen auch seine Mängel bekannt sind. Der japanische Mathematiker FUJIWARA, Masahiko, der eine Professur in USA wahrnahm, schildert seinen ersten Kontakt mit Westlern im Vorwort seines4 Buches „Dignity of a Nation“.
Er war zunächst begeistert von ihrer Logik, sie kommen sofort zur Sache, aber sie sind zu sehr überzeugt von der Allgemeingültigkeit ihrer Methode und meinen ihre Schlussfolgerungen müssten unbedingt von Abweichlern übernommen werden, denn sie seien nicht in der Lage, bessere zu produzieren.
Fujiwara zerpflückt diese Einstellung, indem er darauf hinweist, dass die griechische Vorstellung von Wissenschaft ein einziges Axiomen - System voraussetzt, das im ganzen Kosmos gültig ist, aber inzwischen gibt es viele, die jeweils nur in Teilbereichen gelten. Die Voraussetzung für die Gültigkeit des ursprünglichen Konzeptes ist nicht erfüllt.

Das erste bekannte Axiomensystem war von Euklid. Es gilt für Punkte und Linien im zweidimensionalen Raum, die mit Zirkel und Lineal bearbeitet werden können. Das stellt sicher nicht den Kosmos dar. Das Parallelen - Axiom wurde von jeher skeptisch betrachtet, weil es der Anschauung widerspricht.
Inzwischen gibt es euklidische und nichteuklidische Geometrien und den Versuch von Gauss, festzustellen, ob unsere Welt die Struktur der euklidischen Geometrie hat, oder nicht. Er hat festgestellt, dass die Winkelsumme eines Dreiecks in unserer Welt der von zwei rechten Winkeln entspricht. 
Ein weiteres Problem ist Teilbarkeit oder Kontinuum. Eine Linie besteht aus Punkten. Gibt es einen Zwischenraum zwischen zwei benachbarten Punkten? Wenn die Länge einer Linie mit Zahlen gemessen wird, kann die Frage nicht beantwortet werden. Zwischen zwei ganzen Zahlen gibt es einen großen Abstand, je nach Maßstab, den man mit gebrochenen Zahlen ausfüllen kann, deren Stellenzahl unendlich sein kann. Die Abstände werden immer kleiner. Aber hören sie auf? Phytagoras hat festgestellt, dass es dann noch Zahlen gibt, die nicht genau angegeben werden können, aber zwischen denen liegen, die bekannt sind. Irrationale Zahlen. Karthesius hat die analytische Geometrie formuliert. Sie stellt eine Verbindung zwischen Geometrie und Arithmetik her. Das Koordinatensystem von Karthesius stellt ein Kontinuum dar, die Frage nach dem Zwischenraum zwischen zwei Entitäten stellt sich nicht mehr. Ähnlich der Frage ob Welle oder Partikel, logisch sind es verschiedene Entitäten, aber einen praktischen Unterschied, gibt es den auch? Ja, einen über den trefflich gestritten werden kann, sonst aber verhalten sich bestimmte physikalische Entitäten sowohl als Partikel als auch als Welle, vermutlich gleichzeitig.
 Der Logiker Kurt Gödel hatte in den 1930ger Jahren den Vollständigkeitssatz sowie den Unvollständigkeitssatz veröffentlicht. Der erstere enthält einen mathematischen Beweis dafür, dass es Axiomensysteme gibt, die die griechische Idee der Wissenschaft realisieren. Allerdings beschreiben diese Axiomensysteme und ihre Schlussregeln nicht den vollständigen Kosmos. Im Unvollständigkeitssatz beweist er, dass in einem Axiomensystem, das die wesentlichen Punkte einer Sprache bezeichnen würde, nicht alle wahren Sachverhalte logisch erschlossen werden können. Demnach ist das griechische Konzept der Wissenschaft nicht in der Lage, all das zu leisten, was von ihm erwartet wird. Etwa die Frage, ob ein Mensch nach seinem Tod vor ein Gericht gestellt wird, das seine irdischen Taten beurteilt. Die wichtige Erkenntnis des Gödel hatte bisher wenig erkennbare Auswirkung auf den Bewusstseinszustand westlich erzogener Menschen. Sie ziehen es wohl vor, im Zustand der Gewohnheit zu verharren.
   
Auch das Bewusstsein der Menschen aus abweichenden Kulturbereichen ist darauf gerichtet, über Instinkte hinausgehendes Weltverständnis zu gewinnen.
Fujiwara hält die japanische Methode, das System der Regeln, das für Beziehungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft gilt, durch Ausnahmen zu ergänzen, für die bessere Lösung. Was ihm ein westlich erzogener Mensch natürlich nicht glaubt. Deshalb ist er der Meinung, es sei die Aufgabe der Japaner, die Welt von der Funktionsfähigkeit ihrer Methode zu überzeugen. Die westliche Jagd nach Rationalität kann nur Umweltschäden und schließlich Selbstzerstörung hervorbringen. Der damit angerichtete Schaden überwiege den Nutzen, den er ebenso geschaffen habe.  
Der allgemeine Bewusstseinszustand der Japaner ist geprägt von den Weltvorstellungen, die vorherrschten zur Zeit der japanischen Staatswerdung, ihrer Mythologie, ihrer Religion, den Gegebenheiten des Lebensunterhalts.
Japan ist eine Insel, etwa 100Km entfernt vom eurasischen Kontinent auf einer geographischen Breite, die vom gemäßigten Klima bis zum subtropischen reicht.
Ihre Mythologie ist im Geschichtsbuch „Kojiki“ beschrieben, das 711 entstand und einen Verhaltenskodex „Bushido“ enthält. Das Buch stellt auch die schriftliche Grundlage einer polytheistischen Religion dar, die Shinto genannt wird. Seit Mitte des 6ten Jahrhunderts war der Buddhismus als Fremdreligion hinzugekommen. Die Japaner praktizierten (gleichzeitig) beide Religionen, anders als die Westeuropäer, die seit Mitte des 4ten Jahrhunderts das Christentum als Staatsreligion verordneten5 und andersdenkende als Heiden bezeichneten, als verlorene Menschen.

Die staatliche Ordnung der Japaner war nach dem Vorbild von China geregelt und wird im Westen als „Konfuzianismus“ bezeichnet, einen Ausdruck, den die Chinesen nicht anwenden, Konfuzius war ein Herausragender ihrer Klassiker. 
Die Klassiker definierten eine Gesellschaftsordnung die darauf gerichtet ist, Harmonie in der menschlichen Gesellschaft herzustellen. Sie ist nicht von Göttern verordnet. Der chinesische Kaiser ist der (selbsternannte) oberste Gott. Die Grundidee dieser Gesellschaftsordnung, wurde aus der Himmelsbeobachtung abgeleitet. Am Firmament sind unzählige Sterne zu beobachten, aber auch eine ständig wiederkehrende Konstellation, was eine Ordnung vermuten lässt, die die Heerschar der Sterne dirigiert. Die Klassiker haben diese Ordnung umgemünzt in Verhaltensregeln für Menschen je nach ihrem Stand in der Gesellschaft. Daneben gibt es auch noch eine Welterklärung auf der Grundlage des TAO. Tao für Intellektuelle, Konfuzius für das ungeschulte Volk. 
Der prägende Zustand des Bewusstseins chinesischer Menschen ist in China selbst entwickelt worden aber von Buddhismus und Christentum beeinflusst. Im Jahre 635 soll in China eine Übersetzung der christlichen Bergpredigt bekannt geworden sein, die von nestorianischen Christen erstellt wurde. Sie gelangte auch nach Japan, wo sie mehr beachtet worden sein soll als in China.
Die Prägung des Bewusstseins der Japaner hat durch ihren Kontakt mit Europa seit 1543 eine zusätzliche Note bekommen die sich durch die seit 1854 abgeschlossenen ungleichen Verträge noch verstärkte. Ihr politisches Streben in der Meiji – Periode6 war die Kompensation der ungleichen Verträge, die 1902 wegen eines Vertrages mit den Engländern (rechtlich) als abgeschlossen betrachtet wurde. Sie hat einerseits mit dem Ergebnis der christlichen Missionierung in Japan zu tun und andererseits mit dem europäischen Verständnis von Völkerrecht. Daher soll im folgenden Text darauf eingegangen werden.

Den Christen ist die Missionierung von Ungläubigen in allen vier Evangelien vorgeschrieben. Das wurde beim Ausbruch des Zeitalters der Entdeckung (etwa 1415) beachtet7, war aber sicher nicht seine treibende Kraft, sondern wirtschaftliche, politische aber auch erkenntnistheoretische. Die Erde wurde wieder, wie im Altertum als Kugel betrachtet, nicht als Scheibe. Von alters her bestehende Handelswege waren aus Kriegsgründen gesperrt worden, es musste Abhilfe geschaffen werden von denen, die durch Handel lebten, was die Politik beeinflusste. Christoph Columbus erreichte 1492, indem er nach Westen durch den Atlantik segelte, Indien, wie er glaubte. Später wurde es Amerika genannt. Die Portugiesen umsegelten 1498 Afrika in östlicher Richtung und erreichten Indien. 
Beide Ereignisse hatten enormen Einfluss auf das geistige Klima in Europa. Im Weltmaßstab waren sie aber nicht so bedeutsam, wie die Europäer es selbst sahen. Östlich vom Kap der guten Hoffnung gab es Verhältnisse, wie sie rund ums Mittelmeer seit unvordenklichen Zeiten geherrscht hatten. Dort waren Hochkulturen angelegt und ein ausgedehntes Netzwerk von Handelsbeziehungen funktionierte.  
Von Ostafrika bis zu den Gewürzinseln brauchten Europäer nichts Neues zu entdecken, sie konnten einheimische Lotsen an Bord nehmen oder als Passagiere auf fremden Schiffen reisen. 
Als Entdeckungsdatum von Japan wird von Portugal offiziell 1542/43 angegeben, vermutlich erreichten sie Japan als Mannschaftsmitglieder chinesischer Schiffe etwa ab 1513. Der Grund für die offiziellen Angaben sind bestehende Verträge zwischen Portugal, Spanien und dem Papst, zu denen damals aus technischen Gründen nicht festgestellt werden konnte, wie sie erfüllt werden konnten8. Der genaue Umfang der Erde war damals noch nicht bekannt.
  
Die missionarischen Erfolge der Portugiesen in Japan werden in Europa hoch geschätzt. Viele barocke Kirchen stellten auf ihren Deckengemälden Franz Xavier, einen charismatischen Missionar dar, der nicht nur Japaner, sondern auch Inder und Menschen aus der indonesischen Inselwelt konvertierte. Er kam 1549 als erster Missionar nach Japan und starb 1551 auf einer Insel in Sichtweite von China. 1579 wurde in Japan christlichen Missionaren der Aufenthalt verboten. Das Verbot wurde schrittweise verschärft und 1639 galt es als durchgesetzt. Nicht nur missionieren war verboten worden, auch das Christsein den Japanern bei Todesstrafe. Aus europäischen Kreisen kam ein Echo: „Wie kann es sein, dass sich 300.000 Christen in Nacht und Nebel aufgelöst haben?“ Was in Japan nicht ungehört blieb. 
Seit 1859 wurde es europäischen (westlichen) Missionaren erneut erlaubt in Japan tätig zu werden, allerdings nur in den Hafenstädten, die geöffnet worden waren für den Bedarf der Westler. Die Missionierung von Japanern wurde erst ab 1873 gestattet. Die ersten Missionare, die in Nagasaki erschienen, waren Protestanten aus Amerika, holländischen Ursprungs auch französische Jesuiten wurden in Nagasaki tätig. Sie organisierten den Wiederaufbau christlicher Kirchen, die in der Zeit der Abschließung abgerissen worden waren. Ansonsten erteilten sie Japanern Sprachunterricht in Englisch und berieten sie in Modernisierung. Zu der in dieser Zeit noch längst nicht alle Japaner standen.

Eines Tages meldete sich bei dem Missionar Bernard Petitjean eine Gruppe von Japanern, die angaben Christen zu sein. Sie waren Nachfahren der Christen, die im 16ten Jahrhundert konvertiert worden waren. Insgesamt waren es einige Tausend Personen, die bei Todesdrohung heimlich überlebt hatten, ohne entdeckt zu werden. Sie hatten ohne professionelle Seelsorge und ohne Bibeln überlebt, weshalb von Europäern die Echtheit ihres Glaubens angezweifelt wurde. Das wiederum wurde von japanischen Nationalisten als europäischer Charakterfehler bewertet, was bis heute in ihrem Bewusstsein hängen blieb. Da Christsein zu dieser Zeit noch unter Strafe stand, wurden einige in Nordjapan isoliert ins Gefängnis gesteckt.
Petitjean hat sich bei den Japanern bekannt und beliebt gemacht, weil er die Gefangenen im Gefängnis besuchte und weil er bei den politischen Kräften tätig geworden war, die 1871 das Verbot bestätigt hatten, aber 1873 wurde es aufgehoben. Damit war die Zeit des Leidens für konvertierte Christen jedoch nicht beendet. Sie bauten zwar ihre zerstörten Kirchen erneut auf. Ihre größte jedoch, die Bischofskirche, lag im Epizentrum der Atombombe, die 1945 auf Nagasaki geworfen wurde. Sie wurde zerstört und mit ihr 8000 der 12000 Christen, die in ihrem Umkreis lebten. Ein Ereignis, das auch von Ungläubigen wahrgenommen wurde. Von den Überlebenden ist die zerstörte Kirche wieder aufgebaut worden. Was die Echtheit ihres Glaubens angeht, so sollten Zweifler den Unterschied der Gedenkfeiern in Betracht ziehen, die jährlich anlässlich des Abwurfes der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki stattfinden. In Hiroshima wird die Zeremonie im Sinne des „mainstreams“ ausgerichtet, von der Regierungsseite besänftigend und von Nationalisten wird eine Entschuldigung von den Amerikanern erwartet. In Nagasaki aber macht sich christliches Gedankengut bemerkbar.

Warum ist Japan heute noch nur zu 3% christianisiert, obwohl es nach Diskussionen, die 1928 stattgefunden hatten, heute völlig christianisiert sein könnte? Wir wollen auf diese Frage eingehen, weil sich die Antwort im kollektiven Bewusstsein der Japaner niedergeschlagen hat.

1928 war ein Jahr (nach dem ersten Weltkrieg) in dem die Phase der Bürgerkriege, die in China seit seiner Gründung als Republik 1911 ausgebrochen waren, zur Ruhe gekommen war. Es konnte Bilanz gezogen werden, wohl auch von Seiten derjenigen, die die Initiative für weltweite protestantische Missionierung ergriffen hatten. Es stellte sich noch im gleichen Jahr als Irrtum heraus, denn das Schlimmste stand noch bevor. 
Jedenfalls unternahm der damalige Leiter der Baseler Missionsgesellschaft Otto Marbach eine Inspektionsreise nach China und Japan und veröffentlichte ein Buch darüber „Chinas Not und Japans Hoffnung“. Er wollte sich ein Bild darüber machen, ob christliche Missionierung in diesen Länder überhaupt noch notwendig sei, denn Missionierung ist nicht nur christliche Pflicht, sie kostet auch etwas. 
Sun – Yat Sen, der Gründer der Kuomintang Partei und selbst von Mao - tse Dong respektierter Verursacher der Revolution, war christlich erzogen worden und Chiang-kai Chek, der aktuelle Staatspräsident war zum Christentum übergetreten. Was konnte der Christianisierung Chinas noch im Wege stehen?
Im Vorwort des Buches von Marbach steht folgender Satz: 

… Der Not gegenüber tatenlos zuzusehen kann nicht das Verhalten von Ausländern sein. „Wenn es dennoch geschehen ist oder noch geschieht, so ist dies ein Teil jener großen Schuld Europas und Amerikas, auf die in neuerer Zeit mit Recht als einer furchtbaren Schande sogenannter höherer „christlicher“ Zivilisation und Kolonisation hingewiesen wurde.“
Das bedeutet in Europa und Amerika gab es zumindest ein Bewusstsein bezüglich der Lage. So wurden die Reisepläne der Lage angepasst, nicht China war das erste Reiseziel sondern Japan.
Besonderen Platz in Marbachs Buch findet die Beschreibung der beiden Japaner Toyohiko Kagawa und Kanzo Ushimura sowie eine mehrtägige Konferenz japanischer christlicher Arbeiter, gemeint sind Träger der christlichen Missions- oder Sozialarbeit mit 620 Teilnehmern, davon 40 – 50 Ausländer.
In der Konferenz wurde das Problem der Rassendiskriminierung diskutiert. Inazo Nitobe, Vize Präsident des Völkerbundes, erläuterte die Haltung des Völkerbundes zu dieser Frage und stellte fest, das Unrecht von Diskriminierung sei bekannt, aber Maßnahmen dagegen seien politisch nicht durchzusetzen. Japaner hatten in allen internationalen Institutionen den Antrag auf Gleichberechtigung gestellt, wurden aber überall abgewiesen, ausgerechnet bei den Befürwortern von Appartheit wurden sie als Ehrenweiße anerkannt. Mitglieder einer anerkannten Hochrasse, werden wahrscheinlich gegen diesen Begriff nichts einzuwenden haben, Mitglieder einer diskriminierten Rasse, wenn sie klug sind, wohl auch nicht, was nicht dem Zustand ihres Bewusstseins widerspiegeln muss.
In Japan lebt eine nicht geringe Anzahl prominenter Menschen die sich öffentlich zum Christentum bekannt haben z.B. mehrere ihrer Ministerpräsidenten, solchen die von professionellen Missionaren konvertiert wurden aber auch von Laien. Zur ersten Gruppe gehört Toyohiko Kagawa zur zweiten Kanzo Ushimura. Marbach hat beide besucht. 

Toyohiko Kagawa (1888 - 1960)
Er ist ein christlicher Seelsorger, politischer Aktivist für Belange der bedürftigen Menschen mit wirksamen Methoden, die auf Klassenkampf verzichten. Saß wegen seiner offenen Kriegsgegnerschaft gegen den zweiten Weltkrieg im Gefängnis, wurde aber auch anerkannt und bekam einen politischen Auftrag, seine Ideen zu verwirklichen. Hinterließ eine Menge von Büchern, die als Novellen seine Ideen verdeutlichten und Gelder für seine Aktivitäten einbrachten, aber auch theologische Themen behandeln und zwar so, dass selbst ein Westler begreift, was eigentlich in der Bibel steht. Er wurde zum Nobelpreis vorgeschlagen sowohl für den Friedens als auch für den Literaturpreis. 
In Kobe, am Meeresstrand, hat er sich mit Albert Einstein über religiöse Fragen unterhalten. Das Christentum hielt er für die überlegene Religion, die von den Westlern nur steril praktiziert werde. An Kritikern mangelte es ihm nicht, aber er lebte, was er sagte und war deshalb schwer angreifbar. Er wurde zwar durch Missionare mit dem Christentum bekannt, weil seine Mutter starb, als er noch ein Kleinkind war, aber später waren es die Missionare, die sich an seine Tätigkeiten hängten, nicht umgekehrt. Er starb um 1960 und hinterließ eine Organisation von Kooperativen, mindestens drei Museen und eine internationale Institution, die die technischen Fähigkeiten hütet und weiter entwickelt, die erforderlich sind, um den Mehrwert, der bei der Arbeit entsteht, in die Taschen der Arbeiter fließen zu lassen, nicht der Unternehmer.
Er war es, der 1928 glaubte, ganz Japan würde christlich, wenn erst einmal eine Millionen Japaner Mitglieder von christlichen Gemeinden geworden wären. Dieser Wunsch hat sich bis heute nicht erfüllt, aber es gibt selbständige christliche Gemeinden, deren Wunsch nach japanischen Geistlichen vorwiegend von der Doshisha Universität in Kioto erfüllt wird, deren Gründer nicht durch Missionare zum Christentum fand, sondern durch Laien. Demnach gibt es auch westliche Laien, die das christliche Vorbild leben.

Kanzo Uchimura (1861 – 1930)
Er kam durch William Smith Clark zum Christentum, einem amerikanischen Gründungsprofessor für Agrarwissenschaften der staatlichen Universität Hokkaido die 1869 in Sapporo gegründet worden war. Er ist in Japan bis heute bekannt wegen seines Ausspruchs „Boys, be ambitious“ und eines Denkmals auf einem Hügel, der Aussicht bietet über eine wunderschöne landwirtschaftliche Fläche im Stadtgebiet von Sapporo. Japaner lassen sich gern vor der Statue fotografieren. Clark blieb nur ein Jahr in Sapporo, weil er nur ein Jahr Urlaub bekam von seiner Heimatuniversität im Amherst, Massachusetts, die er leitete. Seinen Ausspruch, soll er bei seinem Abschied an seine Studenten gerichtet haben und müsste eigentlich ergänzt werden „ … nicht um Ruhm und Ehre zu gewinnen, wo Motte und Rost zerfressen.“ 
Er war nicht nur Agrarwissenschaftler sondern auch christlicher Laie, der neben seinen Vorlesungen Bibel Unterricht gab. Alle seine Studenten sollen konvertiert sein, darunter auch Kanzo Uchimura und Inazo Nitobe. Später machte Kanzo Uchimura schlechte Erfahrungen mit etablierten Missionaren und gründete eine Gemeinde „Mukyokai“ wörtlich übersetzt „Unkirchengemeinde“ Er hat einige Jahre in USA studiert, woher er zurückkam mit weniger für den Westen günstigen Ansichten. Aufgrund seines literarischen Talentes hatte er großen Erfolg bei der Verbreitung seiner Ansichten, obwohl er in etablierten Kreisen Anstoß erregte. Gegen den ersten chinesischjapanischen und den russischjapanichen Krieg, nahm er deutlich Stellung. Er verlor mehrere geordnete Anstellungen, weil er sich vor dem Bild des Kaisers nicht deutlich genug verneigte. Fand aber bis heute andauerndes Interesse für seine Literatur, die japanisches Denken dem westlichen überlegen darstellt. Wenn Westler das anzweifeln, reagieren Japaner beleidigt, empfindlich wie Mimosen. Chinesen würden sich darum nicht besorgen, weil ohnehin niemand ihre hohe Kulturstufe in Frage stellt.
                                                                                                                                                                  
Zusammenfassung
In Fettnäpfchen treten bedeutet, andere Menschen in Aufregung zu versetzen. Was fast immer vermieden werden soll. Um Fettnäpfchen zu vermeiden, muss gewusst werden, wann, wie und wo der andere verletzbar ist und lässt es bleiben. Wer es nicht weiß, kann unbewusst oder unbeabsichtigt in Fettnäpfchen treten, was unangenehme Folgen für ihn haben kann.
Daher lohnt es sich, über die Vermeidung nachzudenken. Im Handel oder Politik kann es dabei um große Dinge gehen.

Das Bewusstsein von Individuen und Gemeinschaften ist die Stelle, wo sie sich anziehen und 
ihre Blöße bedecken. An ihrer Kleidung sind sie zu erkennen.
Zum Beispiel sind Europäer von der Vorstellung geprägt, alles was ein Mensch wissen muss, kann er durch rationales Schließen erfahren. Die antiken Griechen haben dieses Konzept Wissenschaft genannt. Also sind Europäer oder Westler von dem Konzept „Wissenschaft“ geprägt und stolz darauf, von den Griechen abzustammen. 
Europäer glauben an falsch und richtig, gut und böse, schön und hässlich usw… Was richtig ist kann nicht gleichzeitig falsch sein. Falsches darf ein Europäer nicht dulden. Toleranz gegenüber dem Bösen ist nicht gut.
Bei Menschen, die polytheistisch ausgebildet sind, verlaufen die Dinge umgekehrt, sie 
brauchen nicht intolerant zu werden wenn der Nachbar einen anderen Gott verehrt als sie selbst, wenn sie Fehler im Denkgebäude anderer entdecken, dann korrigieren sie ihren eigenen. Sie müssen nicht einstehen zur Verteidigung einer bestimmten Idee. 
Beide sollten sich vor der Schlange hüten, die Pate stand zum Sündenfall. Verwirrung stiften ist ihr Spiel oder ihre Aufgabe? Verwirrung im Geschichtsablauf menschlicher Pläne hat es nie gegeben. Etwa doch? Schlange, Verwirrung. Das arme Tier ist wohl nicht damit gemeint.
  
Die Vermeidung von Fettnäpfchen ist nicht auf das Verhältnis zwischen Japan und Deutschland beschränkt. In jedem Fall sind es wohl aufeinanderprallende Zustände des Bewusstseins, die Aufmerksamkeit erfordern. Rechthaberei und verletzter Stolz entstehen nicht nur in den oben geschilderten Fällen. Sich dieser Bewusstseinsschwelle bewusst zu sein, trägt zu ihrer Überwindung bei. 
                                   
Der oben geschilderte Text zeigt einige Beispiele aus der Deutsch – Japanischen Geschichte, wo sie sich verstanden haben und wo nicht und weshalb nicht. Ziel des Textes ist gegenseitige Verständigung zu fördern, nicht zu trennen.

 Benutzte Literatur

L´Europe, le Christ et le Monde
Oliver Hatzfeld, Collection dirigée par Georges Crespy:
Présence de Dieu dans l´histoire des homes, 1967
Librairie protestant, 140 boulevard Sait-Germain, Paris VI.
Vorwort Crespy über die Geschichte der Entstehung von Geschichte.

Endō Shûsakû „Schweigen“ 
Roman über einen Volksaufstand in Japan (Shimabara 1639), der wesentlich zum Verbot des Christentums in Japan führte und zur Abschließung des Landes und eine Frage über die konvertierten Japaner aufwirft. Nach der Sicht einiger Europäer hatte sich die Menge nach kurzer Zeit in Nebel aufgelöst. Aber es gab auch japanische Märtyrer. Nicht nur 1639, auch von 1859 - 1873. Seit 1873 gibt es in Japan Religionsfreiheit. Sie wurde gegen Handelszugeständnisse ausgehandelt. Eine Gelegenheit, in der die ungleichen Verträge aufgeweicht wurden. 

Endō Shûsakû „Samurai“ 
Translated from Jap in English by Van C. Gessel
ISBN: 978-0-8112-2790-2, 1997
Roman über eine Reise von Sendai in Japan (1613) nach Rom und zurück (1623).
Es handelt sich um die Beschreibung eines Geschäftes, das wirklich stattgefunden hat. Reisetagebücher sind verschwunden, aber es gibt einige harte Fakten. Christliche Missionierung in Japan gegen Handelsvorteile für den aktuellen Herrscher. Gestört durch konkurrierende Missionare. Zum Schluss sind alle beteiligten Personen versöhnt, nur die beteiligten Könige sind bloss gestellt, sie handeln nicht auftragsgemäss, sondern vorteilshalber nach ihren Vorstellungen, aber auch sie sind nicht frei von menschlichem Anstand. Endo hat sich um eine ganzheitliche Darstellung bemüht, die die Motive der Handelnden analysiert, schliesslich keinen ungeschoren lässt, aber auch niemand verdammt.

Fujiwara Masahiko, The dignity of a Nation
Ins Engl übersetzt: Giles Murray
ISBN978-4-489684-568-6
2005: Chinshosha, Tokyo

Imanuel Kant
Kritik der reinen Vernunft
Kritik der praktischen Vernunft
Kritik der Urteilskraft        

Dialektik der Aufklärung
Max Horkheimer, Theodor Adorno
Fischer Taschenbuch Verlag
46- 50 Tausend März 1978
ungekürzte Ausgabe.
Identität von Intelligenz und Geistesfeindschaft.
Aufklärung als zweischneidiges Schwert.
Einerseits die Erlösung des Menschen aus seiner geistigen Unmündigkeit 
andererseits die Aufgabe der Anerkennung von Autoritäten.
Aufklärung die das Lebendige in eins setzt wie der Mythos das Unlebendige mit dem Lebendigen.
Umschlag: Aufklärung im Positivismus

Peter Watson, The German genius
Simon & Schuster, London, New York, Sydney, Toronto, New Dehli
ISBN 978-1-41652-615-5
s. 725: Enlightment – inexorably to totalitarism
s. 775: cultural life in capitalism
            as much a prison as libertarism
            Style in fashion as in art 
             Is a phony form of individualism by need of commerce
     

Shiba Ryōtarō, Clouds above the Hill,
The Japan Documents, 2015, by Routledge
ISBN 978-1-138-85890-9
4 Bände – sieben Bücher, Historische Novelle der japanischen Kriege in der Meiji-Zeit.
  
John W. Dower, Embracing Defeat, Japan in the wake of World War II
W.W. NORTON & Company the new Press
ISBN 0-393-04686-9.
Aufeinanderprall von westlichen und japanischen Bewusstseinsstufen.
     
Albert Einstein, Leopold Infeld, „Die Evolution der Physik, von Newton bis zur Quantentheorie“, RoRoRo, Hamburg, 1956 
Entstehung einer physikalischen Erkenntnis aus Nachdenken, Versuch und Irrtum.

Otto Marbach, „Chinas Not und Japans Hoffnung“, 2.Auflage 1930, Verlag von Paul Haupt, Bern und Leipzig
Reisebericht einer missionarischen Inspektionsreise. 
                                                                         
Studienarbeit für cand.ing. G.W. Wollboldt, „Der Vollständigkeitssatz in der Prädikatenlogik erster Stufe“, TUB, 1974 , Matr. Nr.: 28413 
Es handelt sich um den Satz von Kurt Gödel.
                                                                         

                               
von Reinhardt Cornelius-Hahn 8. Januar 2025
Meine Damen und Herren! Wir haben uns am Volkstrauertag hier zusammengefunden, um der Opfer von Krieg und Gewalt zu gedenken. Ich bin im März 1947 geboren. Später hörte ich, der Winter 1946 - 1947 wäre der härteste Winter des 20. Jahrhunderts gewesen. Das war mein Lebensbeginn und es sollte noch mehr geschehen in einer Zeit, in der das Wort Klima noch ein wissenschaftlicher Begriff gewesen war. Der Sommer 1947 war der zweitwärmste aller Zeiten seit der Temperaturerfassung und noch etwas möchte ich dazu fügen, in meiner Generation gab es in „Mitteleuropa“ keinen Krieg. Ich gehöre der ersten Generation an, die vielleicht gelebt hat ohne scharfe Granaten, Brandbomben, legalisierten Morden und vor allem ohne unmittelbare Furcht vor dem plötzlichen, gewaltsamen Tod. Lebt meine Generation in einem goldenen Zeitalter? Kein Hunger? Keine Angst? Kein Krieg? 76 Jahre Gewöhnung an einen Frieden, den man vielleicht bezahlt hat? Ja, es gab sie, die Opfer in meiner Familie. Vier Brüder meiner Mutter starben im II Weltkrieg und auch mein Vater, der 11 Verwundungen in fünf Jahren nach Hause trug und nur weinte, erzählte jemand eine Geschichte über den Krieg. Vater wurde nie mehr gesund. Fragte man ihn nach dem Krieg, so schob er das Hemd über den Gürtel etwas hoch oder er krempelte das Hosenbein nach oben. Er hinkte und der Splitter im Kopf, der brachte ihn 1960 nachträglich um. Uns Kindern sagte man, der Splitter sei im Kopf gewandert. Da gibt es aber noch ein Opfer, mein jüngerer Bruder. Er ist 2007 verstorben. Wie konnte das passieren? 1964 wollte er im Winter über die Havel nach Westberlin, er wurde angeschossen. Sein Ziel war unsere Mutter, die im Westen war. Mein Bruder hielt das eben weniger aus als 1ich, ohne Mutter und Geschwister zu sein. Die Teilung unseres Landes war sein Problem und es war ein Problem aller und auch der Politik. Mein jüngerer Bruder wollte frei sein. Dieser Wille brachte ihn anderthalb Jahre nach Torgau, zweieinhalb Jahre Rüdersdorf in die Kalkbrüche, und er wurde als renitent eingestuft. Später ging er auf Jahre in die Haft, er war in der Schwarzen Pumpe und später noch in Bautzen I. Erst 1989 kam er weg von diesem Leben und er war so geschwächt, wie einst unser Vater. Nur, er war ein Opfer der neuen, der sozialistischen Gewalt. Meine Mutter, eine mutige Frau und ein Mensch mit vitaler Lebenskraft, lebte bis 2010. Heute kann ich nur um meine Mutter wahrhaftig trauern. Ihr Tod mit 93 Jahren war mit Trost und mit erfüllter Liebe verbunden. Den Tod meines jüngeren Bruders kann ich bis heute nicht wahrhaftig betrauern. Da ist noch Wut in mir auf das geteilte Deutschland, auf die Nachkriegszeit und auf den, wie man ihn nannte, antifaschistischen Schutzwall. Vielleicht gibt es bald ein Gesetz gegen Wut oder Zorn, gegen Hass haben wir ja schon eins erdacht. Oder vielleicht ein Gesetz für die Schuld, eines gegen die Liebe und eine staatliche Pflicht zur ewiglichen Buße? Wir hätten es doch vielleicht alle leichter, überließen wir die Ethik und die Moral dem Gesetzgeber? Noch früher war das noch anders, vor den Verboten gab es Gebote: Du sollst nicht töten - zum Beispiel. Nicht allein die Strafe, erst der Tod ist der letzte Ausweg aus lebendiger Schuld. Schuld kommt und geht mit Menschen und nicht mit Kollektiven oder Nationen. Wir Menschen haben uns darauf geeinigt, nur das Gesetz oder der Reue, sie erteilen uns - Strafen und Sühne - auch denen, die sich selbst nicht ertragen möchten und die, die eigene Schuld anderen zuweisen wollen. Auch sie werden wegen Gewalt und Tod, die sie an ihre Opfer 2ausübten, wegen ihrer Schuld verurteilt und zur Verantwortung gezogen. Es blieb für Täter der Weg der Reue, Buße und Sühne, sonst war die gesamte Zukunft ihres Lebens verspielt. Nicht mehr und nicht weniger. Schuld ist also ein lebendiges Ding im Verstand, sie hat auch eine Sprache die heißt auch, das Gewissen. Wie steht es sonst um die Schuld? Wer sieht sie ein, wer versteht sie? Zwischen Opfer und Täter befindet sich der tiefe Abgrund der Schuld. Man kann frühe oder vergangene Schuld auch als Ermahnung und als Erinnerung begreifen, sie sind ein ständiger Lern- und Verständigungsvorgang der Lebenden. Wir gedenken der Opfer und begreifen so auch die sonst unfassbare Schuld der Täter. Wird der Umgang mit Schuld als Erinnerung, als Gedächtnis und als Ermahnung nicht bewahrt und nicht erlernt oder gelöscht, so wird sie nie ein Eigentum des Verstandes, zum Gewissen, das untrennbar mit dem Denken und dem Leben für eine gedeihliche Zukunft verbunden ist. Ich könnte aber auch die Schuld für andere und für deren böse Taten auf mich nehmen. Kann Schuld sogar unverschuldet mir gehören? Bin ich als Enkel meines Großvaters an seiner Schuld schuldig? Er war mit dem Bajonett an der Front, gegen die Franzosen ging es zur Sache. Er verlor nur einen Arm. Trage ich seine Last? Habe ich sie geerbt? Schuld, an die ich nicht beteiligt war und an die ich mich persönlich nicht erinnern kann. Ist das auch meine Schuld? Neun, natürlich nicht! Es ist also die Sache der gesamten Politik und der Gesellschaft, die Schuld der Täter und deren Opfer, von den Lebenden und deren Unschuld durch das Mahnen und Erinnern zu vergegenwärtigen. Sie, die Opfer und deren Täter, sie werden nicht vergessen. Darum sind wir hier. 3Schuld wird immer jetzt gelebt und im Augenblick gelebt, in der Person, in der Familie und in der Heimat des Menschen. Schuld ist eben nicht das Geregelte, das Normierte, das auswendig Gelernte und Eingeflößte. Schuld ist auch kein GEN. Ob man es „Preußisch“, „Eichmann“ oder „Nazi“ nennen möchte. Mein Großvater war ein Täter, der schon lange vor dem endgültigen Zusammenbruch mit seinem Gewissen in Konflikt geraten war. Aber, er hat seine Schuld weder meinem Vater noch mir vererbt. Das wäre so, als würde man auch Recht und Unrecht, Liebe und Leid oder auch Scham und Trauer und alles sonst von einer Person oder Nation zur nächsten vererben können. Wir können die Moral und Ethik eine Person - eines Menschen - nicht erben, wir können aber unser Verhalten und unsere Werte auf eine Erinnerung einstellen, die zur Geschichte wird. Das ist die Lehre aus historischen Verbrechen, Ungerechtigkeiten und Kriegen. Sonst hätten sich in anderen Familien oder Menschengruppen auf dieser Welt auch der Mut und die Einheit vererbt. Sie wären ebenso selbstverständlich wie die Freiheit, die Brüderlichkeit und die Gerechtigkeit unter den Völkern. Es gibt kein GEN für die Freiheit, aber es gibt die Vorstellung vom Freisein! Schuld ist also kein Ablass, kein Geschäft oder eine Sache mit der man Handel betreibt. Weder für die Vergangenheit und auch nicht mit der Zukunft, würde Martin Luther sagen. So ist es! Schuld, Scham, Schande, Buße, Reue oder Sühne sind absolut menschlich. Sie haben mit der Natur nichts zu tun. Es sind menschliche Regeln, die ein generelles Verfallsdatum haben. Das ist der Tod. Jede Generation muss Erinnerungen immer wieder neu erstreiten und erarbeiten. Tat, Schuld und Gewissen bedingen einander. Sie bleiben nur lebendig durch die Übernahme einer Verantwortung. 4Fünfmal anders reden, denken, essen, riechen, schmecken, fühlen und berühren, daraus bestand in den letzten hundert Jahren der Inhalt des jeweiligen Lebens. Es gibt kein vergleichbares Land auf dieser Welt, das in hundert Jahren fünfmal das Wesen, die Gesinnung und seine Werte so gewechselt hat, wie es die Deutschen taten. Können wir uns das nicht verzeihen, können wir nicht mit uns befreundet sein, können wir uns nicht leiden oder gar lieben? Ich habe die Menschen in unserem Land schon fast ein dreiviertel Jahrhundert kennengelernt; in Krefeld und in Bremen, als Flüchtling in Kasernen und Turnhallen, als Kind in Heimen, in Trinkerhallen, in Anstalten und Kliniken, in Halle an der Saale und in Leuna und Buna, im Chemiewerk, in Dresden, in Berlin und in Neuruppin und auch in Luthers eigenem Land. In einer psychiatrischen Anstalt geht es mitunter toleranter zu, als unter Deutschen, die gegensätzliche politische Auffassungen über Schuld und Sühne vertreten. Deutsche wollen keine Schuldigen sein. Die heute leben, sie sind es ja auch nicht. Aber, sie befassen sich mit vergangener Schuld, als wären die Schuldigen, das kommt ja vielleicht noch vereinzelt vor, noch unter uns. Was sind das für Menschen, die zwar keine Verantwortung über ihr Leben übernehmen wollen und die sich nicht frei sein möchten von historischer Schuld. Sind das Menschen, die der Staat an die Hand nehmen und in die Zukunft führen soll? Oft scheint es so, man darf nur in einer Gruppe, in der man die eigene Einsamkeit weniger bemerkt, die Welt ändern dürfen? Hauptsache es geht gegen die anderen. Wie also befreit man sich aus Schuld, die man sich selbst oder unbekannten anlastet? Ich meine, man muss mit sich selbst ins Gerede kommen. Sei es aus ungeklärten Schuldgefühlen oder auch aus Unschuld. Die Ehrlichkeit und nicht die Hörigkeit weist den Weg in die Zukunft. Das gilt nicht nur für mich allein, jeder ist dazu aufgerufen, zuerst in sich selbst den 5Frieden zu suchen. Nur dieser Friede schafft Frieden und entbehrt neue Schuld! Ja, ich bin nach den Krieg geboren. Ich lebe in einem GOLDENEN Zeitalter. Ich habe keine Schuld an Bauernkriege, Weltkriege oder Befreiungskriege, aber ich habe ein Gewissen. Ich bin frei und darf erinnern und ich kann ehren, sei es ein durch ein Denkmal, eine Tafel, ein Buch oder sei es nur durch ein Gespräch oder eine Rede in diesem Haus! Sich selbst befreien von Last oder Schuld ist immer der schwerste Weg überhaupt durch das Leben. Darum darf vergangene Schuld keine geborgte Ware aus den Regalen der schlechten Verarbeitung aus der Geschichte sein, ständig aber im digitalen Massenangebot für unselbstständige Menschen, denen nicht gelehrt wurde, sich ihre Verstandes zu bedienen. Wir, die heute Lebenden, haben keine Schuld an diesen Kriegen. Wir würden aber neue Schuld laden, wollten wir uns nicht daran erinnern und nicht unser Gewissen mahnen. Deutschlands Kriege und Deutschlands Teilung haben mir das einfache Leben genommen. Alles ist geteilt, alles ist politisch und alles ist belastet durch fünf Gesellschaften, die es in den letzten hundert Jahren gab. Der Sündenfall in meinem Leben? In einer Sekunde ist mein Schicksal entschieden worden. So hat es einen anderen Weg nehmen müssen. Meine Mutter hat am 16. Juni 1953 einen Russischen Soldaten erschlagen. Ich weiß nicht, ob es gerecht war, was sie getan hat. Es hieß, sie habe sich als Frau gewehrt. Ich war ein Kind und sah zu. Meine Mutter hat nach der Flucht nie wieder den Boden der DDR betreten. Bis zu ihrem Tod nicht. Als ich sie 2010 zum letzten mal in Krefeld sah, da erzählte sie mir, je älter man wird, je schneller vergehe das Leben. Ich erwiderte, sie sei doch schon sehr alt geworden und spiele immer noch Skat und gewinne dabei gegen den Pfleger und mich. Und, um 6besonders klug zu erscheinen sagte ich: In diesen Tagen bezahlen die Deutschen die letzte Rate des Versailler Vertrages, der 1920 in Kraft trat, da warst du schon drei Jahre alt, sie wisse schon, das alte Foto ihrer Eltern, der Großvater mit dem leeren Ärmel der Jacke, das Foto, welches sie mir geschenkt habe vor ein paar Jahren.... Da wollte sie von mir wissen, ob sie noch Schulden hätte aus diesem Vertrag. Natürlich nahm ich ihre Frage ernst. Nein, versicherte ich ihr, denn ich wusste, sie hatte in ihrem ganzen Leben nie so richtig Geld gehabt und für alles bezahlt. Ihre gesamte Zeit bestand fast nur aus Krieg, Inflation, Aufbau, Schuld, Gewalt und Angst... Anders als meine Zeit, an diesem Tag im November 2021. Was mir bleibt? Ein ahnungsvolles Betroffensein und eine tiefe Entschlossenheit für das Erinnern und für das Mahnen. Das ist die Aufgabe meiner Generation... Danke....
von Reinhardt Cornelius-Hahn 11. August 2023
Über das Loslassen, Neinsagen oder auch das Kapitulieren Unser Verstand, auch mein Verstand, wird mit ständiger Anregung beschenkt. Das passiert ganz einfach. Dafür sorgen fünf Sinne. Jeder kennt sie, Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken. Was machen diese Sinne mit mir? Sie sorgen dafür, dass ich die Welt ringsum sortieren, verstehen und auch entdecken kann. Das kann jeder. Wir sind neugierig, interessiert, auch beschützt. Alles machen unsere Sinne, sie wollen oft aber auch wissen, was sich hinter den Dingen, Sachen, Ländern, ja sogar der ganzen Welt versteckt. Dafür haben wir eben unseren Verstand, der sich erinnern, der vorausdenken und sogar Vorgänge, die noch nicht passiert sind, untersuchen kann. Jeder kennt sie, die Wissenschaft, die Erlebnisbereiche, die Erfahrungen und natürlich die Fantasie. Damit kommen wir alle gut zurecht, bis, ja, bis sich Hindernisse, Probleme, Konflikte und Erfahrungen gegen unsere Neugier oder unser Wissen stellen. Natürlich kann man sich helfen lassen, da gibt es die Gesellschaft, die uns bei allem hilft, was uns fehlt: Erziehung, Schule, Studium, Beruf, ja aber auch Liebe, Zuneigung und Anerkennung. Dazu kommen noch Spiel, Spaß und Witz und man könnte meinen, dass ist der Lack, der die Welt zusammenhält. Das ist zuerst richtig, wird aber gefährlich und problematisch, wenn unsere Wünsche, unser Neugier und auch die Fantasie auf all das verzichten will, was wir besitzen und haben. Besonders wichtig ist unsere Leibhaftigkeit. Was ist eigentlich der Leib, der Körper oder man kann auch sagen: Wer ist ICH? Ich weiß, mein Leib ist mein Zuhause. Ich habe für Kinder vor Jahren geschrieben: Mein Leib ist mein Zuhause, darin wohne ich, fühle ich, denke ich und ich kann und darf ihn nicht verlassen. Aber, der Schmerz, die Sucht(Suche), die fehlende Erfahrung und mangelndes Wissen zerstören mein HAUS. Der Verstand in meinem Leib erfährt viel Neues, darunter auch die Herabwürdigung und das Fehlen seines Selbstwertes. Mein Verstand ist ständig und fast immer dem ausgesetzt, was gerade geschieht. Man kann es auch den Alltag, den Augenblick oder das Jetzt nennen ausgesetzt. Ein Mensch kommt einfach von sich nicht weg. Sein Haus, also der Leib, kann auch sein Gefängnis werden. Die Sinne sind nicht nur augenblicklich immer da, sie sind auch alle animalisch, also tierhaft. Wir können auch nicht so tun, als gebe es die Eindrücke der Sinne oder das Geschehen um uns herum nicht. Aber, wir Menschen haben ein Gedächtnis, damit kann man Pläne schmieden. Wir vergessen vielleicht das, was uns nicht passt, aber das, was uns gefällt, das bewahren und pflegen wir. Erinnerungen sind gut oder schlecht, weil man sich an Glück gern erinnern möchte, anders ist es mit dem Pech. Das eine möchte man gern wiederholen, das andere vermeiden. Sonst geht es uns allen gut, fast allen Menschen an den Orten, in denen wir leben. Das ist bei mir auch so, aber, es war nicht immer so. Vor 41 Jahren, ich war damals 35 Jahre alt, stand also mitten im Leben, da hatte ich alles verloren oder abgegeben, auch die Hoffnung auf kommende Zeiten oder ich nenne es einfach mal die Zukunft. Damals war ich ein nasser Trinker, medikamentenabhängig und Kettenraucher und fühlte mein Lebensende kommen. Ich stürzte in ein Prädelir ab. Das ist, wenn alle Sinne versagen und auch der Leib sein Leben aufgeben müsste. In dieser Zeit, wie gesagt, es war vor über vierzig Jahren, fand ich eine Gruppe von Menschen, die der Sucht und Suche nach vermeintlichem Glück abgeschworen hatten. Sie waren nüchtern geworden. Drei bis fünf Jahre waren sie mein Vorbild, und ich habe Tag für Tag trocken gelebt. Ich war ständig auf der Suche nach einem neuen Glück oder man kann es auch, ein anderes Leben nennen. Ein Leben ohne Krankheit und Tod schien mir noch Lebenswert, anderes nicht. Heute nenne ich diese Suche den schweren Weg zur klaren Quelle des Nüchtern-Seins im Verstand. Ich kann auch sagen, es war die Suche nach dem Wasser in der Wüste des Ausgestoßen-Seins. Ausgegrenzt, entwürdigt, kaputt: Der ist schon tot. Eine Leiche, die vergessen hat, zu sterben. Das ist jetzt bald 42 Jahre her. Ich habe begriffen, was das ist und bedeutet, zu kapitulieren. Aufgeben, loslassen, nein sagen um endlich das Überleben in mir selbst zu finden. Das Überleben ist ist in meinem Leib zu Hause, nicht in meinem Verstand, der ständig nach Neuem oder anderen Dingen giert. Es gab und gibt für mich heute keinen Ort mehr, wo ich mich verstecken oder verkriechen könnte oder wollte. Dieser Ort Nirgendwo ist überall. Er ist das Zuhause in mir. Zum Leben brauche ich nichts, gar nichts, ich brauche nur mich. Ich bin kein Egoist, aber ich bin einer, der sich selbst durch Kapitulation neue Lebenshilfe gegeben hat. Nur so geht es. Lebenshilfe ist keine Willensfrage, sondern nur eine Einsicht, sich selbst zu bewahren und anderen zu helfen, um mit dem Leib durchs Leben zu kommen. Versteht ihr mich? Natürlich... und jetzt erzähle ich, was ich alles mit diesem Kapital, das mir durch meine Kapitulation vor der Sucht geschenkt wurden begonnen habe. 1. Mir selbst geholfen 2. Anderen geholfen 3. Gearbeitet, geliebt und Kinder in die Welt gesetzt 4. Drei Bestseller geschrieben 5. Bücher für Kinder verfasst 6. Tatsächlich als rettender Sponsor mehr als zehn Menschen gerettet 7. Eine Firma gegründet und 40 Menschen Arbeit und Ausbildung gegeben 8. 2.000 mal vor fremden Menschen über Sucht gesprochen 9. Die Welt kennengelernt und gesund geblieben und 10. mehr als 15.000 Tage früh aufgestanden mit dem Satz: Heute trinke ich nicht!
von Reinhardt Cornelius-Hahn 9. Dezember 2022
Reinhardt O. Hahn Unternehmer Nachwort über digitale Inhalte, Formen und Möglichkeiten So wie ein Fischer im Sternenbild sein Netz auswirft, um vielleicht ferne Planeten und Sonnen zu fangen, so sind unsere Gedanken im Kosmischen unterwegs gewesen, dabei die Erde vergessend, die unter uns sich drehend den Ort anbot, um in der Ferne die Galaxien beobachten, zu dürfen damit wir der Weisheit letzten Schluss dem Verstand entnehmen können. Das wahrhaftig Große, das analoge Gleichnis zu uns selbst, wir haben es im Universum nicht gefunden. Wir haben versucht, unserem Leben aus der Quantität der Historie eine neue Qualität für die Zukunft mitzugeben. Es gibt einen Weg, das digitale Medium, Doch aber alles, worauf wir uns heute befinden, besteht aus einer geordneten unendlichen Winzigkeit und eben nicht aus der Unermesslichkeit des Seins. Das innerste Wesen des Universums bietet uns eine neue Qualität an, sie ist im Mikrokosmos verborgen. Dort ist alles auch abbildbar und existent und kann unendlich geteilt werden. Es gleicht dem Gehirn und kann immer abgerufen werden, anders als der Körper, der träge und massig uns erdet. Hier mag die Philosophie vielleicht eines Tages Vorschläge machen können, wie und wodurch eine Weltgesellschaft verknüpft sein muss. Welche sittlichen und sozailen Bande hat sie und was hält sie im Innersten zusammen. Eine neue Gesellschaftsordnung muss her, deren Zentrum das digitale Medieum sein wird. Ein furchtbarerer, unmöglicher Gedanke, besonders für die Deutschen, die den Datenschutz der Person sogar über eine Leiche stellen, der man nach dem Tod des Individuums noch nachträchlich etwas moralisch unterstellen könnte. Es klingt profan, im Innersten hielten uns Luft, Wasser, Erde, und Feuer zusammen und die Vorräte, auf die wir gesessen haben. Den flüchtigen Besitz haben wir zum Eigentum erklärt, um besser als andere oder auch nur gut damit wirtschaften und überleben zu können. Aber, es gibt viele materielle Dinge, die nicht teilbar sind, die aber jeder besitzen möchte oder haben will. Wir stehen einer Zukunft gegenüber, das wir teilen müssten bis zum Stillstand, gäbe es nicht die fraktale Reproduktion im Internet von der sich jeder digital nehmen kann, so viel eine Festplatte her gibt. Jeder kann davon Teile haben und sie besitzen. Junge Leute kommen damit schon gut aus. Deren Welt ist eine andere, als die der Männer und Frauen, die vor 1975 geboren wurden. Der Verfasser des mir vorliegenden exzellenten Buches, Johannes Driendl, führte mich auf viele Pfad des Denkens, die alle ein Ende nahmen, die den Stillstand erzwingen. Ich, als medienaffiner Typ, fast ein Nert, bin überzeugt davon, es ist nicht die Quantität, die unser Verlangen nach einer sicheren Zukunft unstillbar und unhaltbar erweitern wird, sondern es ist die qualitative Verbesserung der Welt, und das im Sinne uns die Frage stellen, wie können wir uns die Erde so erhalten, dass sie uns nicht abschüttelt oder sich von uns abwendet? Es geht um das einmalige, eben um das menschliche Glück, Sich im Da-Sein befinden zu dürfen. Das verpflichtet die Menschen, sich mit der Welt zu arrangieren, die nur in unseren Köpfen besteht. Es ist eine doppelt starke Heraisforderung oder Aufgabe, außerordentlich achtsam und pfleglich mit der Erde so umzugehen, wie mit uns selbst, denn sie sind der Maßstab für die Gedeihlichkeit oder den Untergang. Das, worauf wir stehen ist das, von dem wir nicht wegkommen. Wir können auch die Spaltung und die Erkenntnisse über uns selbst bis in das Unermessliche betreiben. Das Digitale ist das Kleinste und Tollste, was die Menschheit je entdeckt hat. Es richtet in der Aufspaltung keinen Schaden an. Es ist Unsichtbar und doch zu sehen. Es besteht aus elektronischen Impulsen und liefert uns milliardenfach Daten für das Denken. Mit diesen Informationen können wir uns die Welt von der Welt erschaffen. Ein nahezu galaktisches Theater ist das wohl endgültig Neue für den Verstand! Das, was vor fast 2.500 Jahren Aristophanes als großer Dichter im Theater auf die Bühne brachte, war auch eine solche Ungeheuerlichkeit, die den Menschen das Leben nahe brachte. Er erzählte wahrhaftige Komödien, die mit ihrer Kraft Helden den Sieg erringen ließen, anders als in Dramen, in denen der Held oft sein Leben verliert. Beides geschieht durch die Poesie, sie hat die größte Kraft für die Belebung des Verstandes und war schon immer im Recht, da sie von Dichtern verwaltet wurde und wird und das Kognitive zur Pflicht erhebt, das uns in die epische Heiterkeit und seelische Gelassenheit trägt. Das Leben ist ein großes Spiel im Märchen und am Ende steht der Tod - zum Glück. Heute, man mag es mir verzeihen, heute ist das Digitale die Poesie in den Köpfen, denn es schöpft und schafft einen neuen Kosmos, den wir auch Universum nennen dürfen. Wir können über das Spiel der Elektronen das Leben neu begreifen, es wird uns „scheinbar“ ewig und dauerhaft gestalten, ohne die Not des Realen, aber so wie das Leben selbst ist. Die neue Ästhetik, also die sinnliche Wahrnehmung wird sich verändern. Denken ist mehr Genuß als „leiben“. Was uns Lesern und Freunden der Philosophie der Schriftsteller Johannes Driendl in 14 Bänden vorführt und anbietet, ist der Weg des menschlichen Verstandes in 2.500 Jahren durch die sozialen Unbilden, die geistigen Unwetter und die totalen Ausfälle des menschlichen Verstandes über die Jahrtausende. Die Philosophen sind vielleicht die wahren Dichter, die mit ihren Visionen, die der Volksmund weiter trägt, die Welt verändern und damit die Revolutionen begründeten. Ja, das bessere Leben ist es, ob es Heine oder Hobbes sagten. Es kommt bei allen Tätigkeiten, bei den Wünschen und auch in den großen Geschichten und Märchen vor. Da wird berichtet über Sehnsüchte, über die Liebe, über berechtigte Hoffnungen, von besseren Ländern und einem neuen Leben. Es ist die Ferne und das Andere, was die Visionen anstachelt und entwickelt und dem Verstand zuruft, das änderst du oder sonst hältst du das Leben in dir nicht mehr aus. Es ist der Kampf, der gegen menschliche Beziehungen geführt wird, gegen die Bevormundung, die Entfremdung und auch gegen die totale Kontrolle. Wir können das alles selbst, weil wir andere Menschen geworden sind. Und wir spüren es nicht nur, wir sehen es jeden Tag, es geht um alles, um das Leben selbst. Wie Süchtige, die die Gnade der Abstinenz erfahren haben und diese als ihre neue Lebensqualität begriffen haben. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, die Leute zu Menschen macht, die sich entehrt und entwürdigt fühlen, findet ganz allein in ihnen selbst statt. In der Wüste braucht man nur noch Wasser, doch die Wüste lebt und sie ist, ein schreckliches Wort, sie ist auch schön. Die Rufe nach der Gerechtigkeit werden heute immer lauter und man erinnert sich, da gibt es eine bessere und vielleicht auch schönere Welt. Diese Welt ist in uns. Andere glauben noch, da draußen, da sind sie, die Reisen, die Offenheit, die Bananen, die Strände und die PKWs und so albern es klingt, alles zusammen nennen wir, in den Konsum eingepresst, Freiheit. Sie fehlt angeblich deshalb, weil man nicht alles besitzen und weil man nicht alles darf, weil eben alles seine Ordnung haben muss. Geht das nicht auf, so nimmt man gewaltsam das Recht in die Hand. Unser Joch und das Leben, sie sind unsere Atmung und das Schlagen des Herzens. Die leibhaftige Diktatur des Körpers, die alles unter vermeintlich Gleichen gleich macht, wird nicht mehr als Joch empfunden, sondern abgeworfen und so bahnt man einen neuen Weg für eine neue Gesellschaft und öffnet ihr die Tür. Freiheit gibt es nur im Verstand und nicht im Leib. Darum ist es gut, dieses Gefängnis zu ehren und seine Schlösser zu pflegen. Nur innen ist Leben. Heute sind wir am Anbeginn einer Revolution, von der ich zu sagen wage, es wird die Revolution nach innen sein. Eine ungeheuerliche Vorstellung. Sie bedient sich einer Kantschen Maxime, die auffordert, sich einer neuen Innerlichkeit zu bedienen. Das bedeutet, absolut neue Einsichten durchzusetzen und zu bestärken, sonst wendet sich die Erde und somit die Welt von allem und allen ab. Darum fressen unsere Kinder die alten Revolutionen. Anders als jede frühere Revolution kommt die neue aber nicht von UNTEN, vom geläuterten Volk, sondern von der Katharsis der Jungen, die mit schreckgeweitetem Blick in die Zukunft schauen, die Hilfe suchen und die unterstützt werden möchten von „denen“ da OBEN, die bisher der natürliche Feind für die da UNTEN waren. Sie werden eins, sie sind schon eins, denn wir sitzen alle im selbst Boot und werfen von dort usnere Netze ins Universum aus. Wir fangen keine Nahrung, wir nehmen Informationen in besitz. Diese Revolution, die durch ihren Schrecken, den sie jetzt schon verbreitet, wird alles und sogar auch die Wahrnehmung verändern und sie wird den Charakter einer totalen Reformation annehmen. Sie wird an Haupt und Gliedern alles neu erschaffen, jedes Denken, alles Verhalten und sämtliche Werte „wieder“ neu gebären und sie vom Kopf auf die Füße stellen. Es wird der gesunde Leib sein, der dem Selbstwert dient und der orientierende Staat wird ihn zu seinem Eigenbild machen müssen, denn er wird die ökologische Heimat verwalten, die uns umgibt und er wird vor allem der Geist sein, der den Selbstwert des Individuums erhöht und seine zweite Haut schützen - die Natur. Ihre Umgebung und ihr Dasein werden künftige Generationen neu erobern und verstehen. Es muss nicht mehr der Gipfel sein, den man scheinbar erklettern muss, man muss nicht bis in tiefste Tiefen tauchen oder an Seilen gebunden von Brücken springen oder wie Ikarus hoch in Gewitterstürme fliegen. Leben in der zweiten Haut, die zwar nicht die Welt sein kann, aber die Erde sein muss, Der Erde dienen zu dürfen ohne Kult, so pathetisch es klingt, um in sich selbst ein gutes Zuhause zu haben, das ist ein Privileg. Schöpfung muss nicht Leid, sondern kann auch Genuss sein. Unsere Schöpfung (durch den Zufall) ist eine Laune der Natur. Das als Abenteuer zu begreifen und trotzdem die Lust am Leib zu zähmen, damit das Denken die Unendlichkeit in sich entdeckt, ist ein großartiger Inhalt. Weil die Frage nach dem Lebenssinn immer wieder gestellt wird, muss man sie bejahen. Ohne Fremdbestimmung und Versklavung sich achten und zu respektieren, das ist das Einfache, was so schwer zu verstehen ist. Es ist die Freude an einer Erde, die man in seiner digitalen, dreidimensionierten Welt unbeschränkt nutzen darf. Es wird eine orwellsche Situation sein, die das Netz der Kontrolle so weit fächert, dass sie nicht mehr spürbar ist. Ein Pragmatismus in der Wahrnehmung im Augenblick, mit dem das Individuum einverstanden ist. Schon heute sind wir in einer Hochzivilisation angekommen, in der die ästhetische Wahrnehmung medial geprüft und digital gesteuert wird. Wie und was wir schmecken, was wir hören und riechen, und auch was wir berühren und vor allem sehen, ist beeinflusst, vorgegeben und vorbestimmt durch das Digitale, es schafft um uns herum neue Normen des Zusammenlebens. Das setzt ein stilles Einverständnis voraus. Wir erschaffen die Maschinen, die unsere Wünsche und Sehnsüchte stillen, Apparaturen, die unseren Intellekt berühren und erwecken und ihm eine Richtung anbieten oder vorgeben. Wer wollte das bestreiten? Es ist das Gebot einer neuen Sittlichkeit, das unser Zusammenlebens mit dem Überleben verzahnt und verbindet. Sich zu gleichen Zeit, auf einem Planeten milliardenfach als edle Schöpfung zu begreifen, die sich auch durch Einordnung und Einbildung ständig neue Normen erschaffen wird, ist eine gewaltige Inszenierung, die uns auch die Natur wieder zurück gibt, die aus Bäumen, Flüssen, Bergen, Meeren und aus vielen anderen Gegebenheiten und Geheimnissen besteht, die auch wirklich existiert. Wer kennt nicht den alten Spriuch: Die Schöpfung schützen! Ein vielleicht neues Recht auf die Würde und Demut zu beanspruchen durch die Digitalisierung des Miteinanders, ist ein Vorrecht der Zukunft. Die analoge Macht der Natur billigen und fördern ist unsere vornehmste Aufgabe, sonst wird sie partiell die Herrschaft über uns durch Not erzwingen. Wir wissen, die Menschen ändern ihr Verhalten nur durch Katastrophen, die von der Politik herbeigeführt werden. Dem muss die Weltgesellschaft zuvorkommen. Wie kann man das erreichen?: Man kann uns Menschen mit der Kraft der Poesie (mit der Wahrhaftigkeit) digital immer neue Interpretationen der Welt anbieten, ohne sie (auch die Erde) stark verändern zu müssen. Uns unbekannte Interpretationen und Inspirationen der digitalen Welt verändern den Verstand in den Köpfen der Menschen. Unsere Leiber wird die Erde erziehen, so oder so. Das Überleben ist nur in einer vernünftigen und nüchternen Welt möglich, ohne Ideologie, ohne Religion und ohne Eigentum oder das Ende. der Zivilisation ist schneller als in zwei oder drei Generationen erreicht ... Es ist der Stillstand der Welt, den die Erde von uns schon seit über hundert Jahre einfordert, den wir aber noch nicht begriffen haben. Es ist der Pakt, den die Natur uns anbietet. Die Vorgabe ist einfach, aber der Maßstab scheinbar unüberwindbar hoch. Darum ist zu tun: 1. Die Einschränkung der Population, die auf ein Verhältnis für das Überleben der Weltgesellschaft erbracht werden muss. 2. Es ist der Kampf gegen die Unbildung, um die Armut zu besiegen. 3. Es sind die Ideologien und Religionen, die abgeschafft werden müssen, damit der Verstand der Menschen frei und nüchtern werden kann. Die Zukunft braucht keine Ideen, sondern Bewahrung. 4. Der Kampf gegen die Erderwärmung. Wie sollen wir uns vor dem Desaster der Stürme, Überflutungen, Dürren und Hitze retten, ohne unterzugehen? Es ist auch der Kampf für die Artenvielfalt, da der Erhalt der Vielfalt sich nicht nur ökologisch in der Fauna und Flora widerspiegelt, sondern auch die Würde der Menschheit in der gesamten Natur ein Abbild ihrer zivilisatorischen Kraft ist. 5. Das gesamte und nicht nur verfügbare, spaltbare Material wird zur Energiegewinnung eingesetzt. Das Unteilbare ist die einzige Kraft, die unser Überleben möglich macht. Wir können uns verschwören gegen die Erde und an höhere Mächte glauben, die all unsere Sorgen und Probleme lösen werden? Dafür mag jede Religion und auch jede Ideologie gut sein. Die Kultur aber wird untergehen in der Barbarei der Ideen und Visionen, weil der Staat keine Sicherheit mehr geben kann. Etwas, was Thomas Hobbes, auch ein Dichter und nicht nur Philosoph, vor vierhundert Jahren schon einforderte. Wir haben nur wenig Zeit für eine hohe Qualität in der Ökonomie, der Technik und für eine qualitativ hochwertige Tätigkeit, die sich am Naturzustand orientiert. Nur das Unteilbare. Das Digitale und Atomare werden uns das Erlebnis Erde dauerhaft und nachhaltig verschaffen können. Wir werden es lernen müssen, Bilder zu entwickeln und zu verbrauchen, die den gierigen Verstand wahrhaftig sättigen. So wie es uns gefällt. Die Seele der Menschen kann nur dort Frieden können, wo der Verstand ohne Wunsch leben darf. Enthaltsamkeit nicht als Bestrafung, sondern als Belohnung des leibhaftigen Erlebens zu verstehen, wer wollte das schon gern auf sich nehmen?,Allein mit dem Wissen der abendländischen Philosophie ausgerüstet, werden wir keinen Weg in die Zukunft finden. Meiner Generation hat man die Zukunft golden gemalt. Der Kommunismus müsse erreicht werden, damit wir nach unseren Bedürfnissen ohne jede Ausbeutung leben können. Das Gute hatte man uns im Osten Deutschlands versprochen. Keine Verbrechen mehr, sobald der Kapitalismus besiegt ist. Jegliches Laster gebe es nicht mehr und man werde die letzten Rudimente einer kapitalistischen Gesellschaftsform abschaffen. Es bedürfe sogar keiner Partei mehr, hörte ich auf der Bezirksparteischule und die Arbeit sei ein Bedürfnis nach Lustprinzip und jeder könne seinen Hobbys nachgehen, wie es ihm gefiele. Das Eiapopeia vom Himmel würde so sein. Doch je goldener die Zukunft gemalt wurde, umso mehr wahren zwangsläufig alle Mittel erlaubt, diese Zukunft zu erreichen, auch wenn man über Leichen ging. Heute ist festzustellen, digitale Leichen leben nicht. Vielleicht rettet dieses Erkenntnis die Mesnchheit.
von Reinhardt Cornelius-Hahn 9. Dezember 2022
Verehrte Freunde der Literatur. Liebe Leser und Zuhörer! Bisher habe ich immer, sobald ich einen neuen Titel vorstellen durfte und ihn von der literarischen Werkbank in die Öffentlichkeit gab, ein Beispiel zur Erklärung aus der historischen Literaturkritik genommen und es bei Gottsched, Lessing oder auch Reich-Ranicki gesucht und gefunden. Eines Tages erfand ich ein eigenes Bild für die Erläuterung der Fabel: Ein Buch ist ein Kind, das ein Erzähler in die Welt der Poesie setzt und mit dem sich ein Leser unterhalten möchte. Heute sind es Vierlinge, sie sind hübsch, interessant, spannend und sie gehören unverzichtbar zusammen und zu mir. Meine Vierlinge, die ich in die Welt zu schicken beabsichtige. Sie haben einen Makel, sie sind nicht eineiig. Jedes ist anders. Wie soll ich also meinen Lesern erklären, die ja skeptisch sind, warum also, sollte der Käufer meine vier literarischen Kinder kennenlernen ohne zu wissen, welche Kinder er da adoptiert? Mir kam da eine Idee. Ich war neun Jahre alt, da stand ich in der Spitze des Kölner Doms. !956 war das. Mein Vater stand unten. Klein und fern. Ich freute mich über meinen Verkaufserfolg. Über hundert BILD Zeitungen und einige illustrierte Zeitschriften, die Hörzu, die Funk und die Neue Illustrierte hatte ich einige Tag zuvor erfolgreich verkauft. Ich war Zeitungsjunge. Die Überschrift des Tages hieß: „Russenpanzer vor Budapest!“ Ich habe mir die Stimmer heiser geschrien. Meine Idee war, ich erzähle die Fabel meiner Tetralogie, also die vier Bände so, wie die Doppelspitze des Doms da am Rhein steht. In Turm links von der Rheinbrücke gesehen laufen meine vier Buchkinder von der Spitze nach unten bis tief in die Geschichte, im Turm rechts laufen sie von unten nach oben zur Aussicht. Insgesamt sind das mehr als 1.700. Buchseiten, aber der Kölner Dom nur 533 Treppenstufen, also 1066 zu gehende Stufen insgesamt. Der Magdeburger Dom gibt noch weniger her, die hallesche Marktkirche ist noch kleiner. Aber, sie haben alle eine Doppelspitze, da könnte man also auch eine Geschichte einbauen. Die Hausmannstürme in Halle sind sogar mit einer Brücke zwischen den Türmen verbunden. Das brachte mich auf den Gedanken, meine Helden könnten in einem Paternoster hoch und runter durch die jüngere Deutsche Geschichte fahren oder auch schweben. Man muss als mein Leser wissen, meine Tetralogie beginnt vor achthundert Jahren, als Wichmann von Arnstein am Beispiel der Mechthild von Magdeburg meinen Helden erklärt, wie die Deutschen leben sollten und sie endet auf dem Marktplatz in Weißenfels im Jahre 2015. Also schicke ich jetzt meine literarische Figuren (also meine Kinder) in den Paternoster. So erkläre ich kurz und knapp die Fabel, die man auch Exposé nennen kann. Meine Leser werden an die Hand genommen und man führt sie in das Haus der Poesie, das eigentlich „Das gewöhnliche Bauwerk“ heißt. Jeder weiß natürlich, damit ist die Mauer in Berlin gemeint. Doch, warum schreibt man 1.700 Seiten über eine MAUER? Im Band I 2012 betreten wir den Paternoster und sind tatsächlich bis zum Jahre 1638 unterwegs. Es ist der erste Band und es ist auch eine große Etage und damit sich keiner verlaufen kann, wird in einer Rahmenhandlung darüber erzählt, beschrieben, gejammert, gebetet, geflucht, was in 300 Jahren bis zum Jahre 1938 passiert. Alles eingebettet im Jahre 2012. Da steht zum Beispiel eine Gruppe Menschen, sie haben sich mitten im Friedhof getroffen. Ein viel besuchter Ort. Die nächste Tür öffnend, reden sie über das Erbe, über Ost und West und sie kommen aus Krefeld, Berlin, aus Halle und Neuruppin. Rechts erlebt man einen Pastor, der aus Angst vor dem Bösen einen Toten in der Erde pfählt, übrigens der erste Ahne meiner Helden, mitten im 30 Jährigen Krieg. Betriebe entstehen, die Bilderbogen und Uniformröcke herstellen. Die Leser gehen in der Etage zwischen marodierenden Banden, wissen aber, Sie leben in der Welt eben oder jetzt und sie können bei allem zusehen und müssen nichts tun: Die Mühen um die tägliche Gerechtigkeit, über Deserteure des Kronprinzenregiments, über die Ehre der Bauern, die Gnade der Grafen und Landräte und auch den Donner der Kanonen, nachdem er verhallt ist, liegen 20.000 Österreicher und Preußen auf dem Schlachtfeld. 13 Kriege werden gekämpft und verloren und gewonnen. Napoleons Mannen ziehen durch Deutschland, sie wollen nach Moskau, er wird geschlagen und der nächste Kaiser der Deutschen will seine Flotte, die SPD will regieren und die Nationalsozialisten erhalten Stimmenzuwachs. die Weimarer Republik stirbt. 1938 wird die Geschichte des Schreibers der Chronik schmerzhaft durch die Nationalsozialisten beendet. Immer wieder öffnet der Leser einen Raum und schreitet nach vor. In der Etage treffen sie sich, die Menschen aus der Geschichte mit denen, die heute in der Rahmenhandlung leben. In der Etage gibt es die Gänge und langen Korridore, Zimmer mit Nummern und geheime Nischen, die in die Geschichte führen. Man geht wieder zum Paternoster um zu erfahren, was wird mit diesen Leuten. Band II Im zweiten Band, den wir jetzt auch Etage nennen dürfen, beginnt die Rahmenerzählung schon 1988. Der erzählende Held steigt in ein Flugzeug, trifft auf schwere Feldarbeit, auf den 17. Juni 1953 und auf erschlagene Menschen. Davor schreitet die Hitlerjugend durch das Bild. Ein Kriegsleutnant zur See hat das Ideal, im U-Boot zu ersticken und es erfüllt sich sein Wunsch. Die Rache eines Fremdenlegionärs wird erzählt, man könnte ihn fast verstehen und ein anderer, der fährt mit einer 2-er BMW durch die Sahara, zuerst um im Auftrage Rommels, um den Briten Montgomery zu verwirren. Doch er kehrt nicht zurück, sondern er biwakiert in der Sahelzone, vermählt sich mit einer farbigen Frau, die im Beiwagen des deutschen Motorrades die Kinder großzieht. Ein Held trifft seinen Cousin aus der Sahelzone in Paris 1988 und sie erkennen einander an den blauen Augen, denn mehr ist von dem Deutschen geblieben und man ahnt es, sie sehen sich vielleicht 2015 wieder. Das ist der Rahmen. Doch vorher gibt es die Bundesrepublik in den 50-Jahren zu erfahren oder die DDR damals zu erleben. An alles ist gedacht, an Butterpreise, politische Witze, an den RIAS Sender, Milchhöfe deren Gullys im Weiß ersaufen und man sieht einem Kind, das beobachtet, wie im Hof eines Großhandels tausende Tonnen Äpfel, Milch, Tomaten vernichtet werden, um Preise oben zu halten. Dort leben Kinder in Heimen, wechseln oft die Schulen. In NRW werden sie geschlagen, da läuft sogar das Blut. Das ist bei Gott schon lange her. Der Sozialismus hat noch nicht gesiegt. Band III Im der dritten Etage geht mein drittes Kind mit den Lesern in eine Welt, die er noch zu kennen meint. In der Rahmenerzählung 1988 steckt der Autor alle Helden in den Paternoster. Es wird eng und die Meinungen über die Zeit von 1960 bis 1988 unterscheiden sich sehr. Aber nur so haben sie eine Chance, den Lesern gleichberechtigt ihre Geschichten zu erzählen. Vor allen natürlich meine wichtigsten Helden, eine Jahrhundertfrau und ein Meinhardt Dehm. Sie müssen immer noch Mut haben, gilt es doch in jeder Etage, Sie können auch Epoche sagen, einen Sprung zu wagen. Der geneigte Leser oder auch der Fahrgast im Paternoster, er kann auch entzückenden politischen Gesprächen über die Schulen des Sozialismus teilnehmen, an Verhandlungen wegen Sex im Kohlenkeller der Parteischule und erfahren, wie sich die Partei beschmutzt fühlte und vor allem die Genossen, das alles wegen der Ehre und für den Sieg des Sozialismus. Tief versteckt wird der Streit ums Geld, um die Liebe und den Tod erlebt. Und, wer nun noch nicht genug mit dem Vaterunser gefahren ist, der sieht von ganz oben arbeitende Stahlwerke, Leuna, Buna, Bautzen I und die Schwarze Pumpe mit ihren Lagern, aber auch die Räume mit den Raketen zu Zeit der Cuba-Krise, vor denen sich Kinder unter Tischen oder unter Bettlaken schützen sollen. Sucht betört und zerstört Leben. Die Suche nach Wegen in die Zukunft ist erschwert und die Stasi ist immer dabei, sie sucht ja auch ihr Glück im Erfolg in den Dingen, die sie selbst erfunden hat. Der Leser besucht eine Jahrhundertfrau, die flink die Karten im Seniorenheim mischt. Diese Frau hat mitten im Leben bei Berlin eben diesen Russen erschlagen, daran denkt sie nicht mehr, doch sie erlebt ihre Jugend nach, diese Frau, wie sie ihren jüdischen Mann pflegt und ihn retten will und bei der Geheimen Staatspolizei auf der Neuaugustusburg in Weißenfels 1943 mit Ausreden um das Leben ihres Mannes ringt. Ihr Bruder, der sie verraten hat, kommt als Kriegsleutnant im U-Boot um. Er ist ein Held geworden und sie hat eine Genehmigung erhalten, ihren Mann zu Tode zu pflegen. Sie, die verblieben Figuren und die Leser, retten sich mit einem Sprung in den Paternoster, weil sie das kaum ertragen können, etwas entspannt steigen Sie eine Etage höher wieder aus. Im Vorbeigleiten sehen Sie noch Episoden, Szenen und Stücke aus dem Leben der Figuren. Natürlich können Sie sich darauf verlassen, die Figuren sind vollzählig und sind alle auf 1.700 Seiten unterwegs, damit die große Geschichte über die Rahmenhandlung ein versöhnliches Ende findet.
von Reinhardt Cornelius-Hahn 19. März 2022
Zeugnis 20 Jahre Enthaltung Reinhardt 0. Cornelius-Hahn nach vierzig Jahren. Geschrieben 2002 im Januar. Es ist gewiss sehr schwer, über sich selbst etwas Ausgeglichenes und Vernünftiges zu sagen, etwas, was auch noch Mitteilungswert ist. Ich möchte über ein Zitat sprechen, dass ich im Autorenheft als Schriftsteller mir vorangestellt habe: Keiner hat nur gesagt, wie ich leben soll. Hinzufügen möchte ich heute: Keiner hat mir gesagt, wie ich leben darf! Folgerichtig hat mir auch keiner gesagt, was ich heute sagen soll. Als ein Mensch, der im Augenblick lebt, ich nenne es auch im absoluten Jetzt leben“ weiß ich, was ich heute fühle und was ich jetzt sagen möchte. Eigentlich sind es nur zwei Dinge, die ich zu sagen habe: Ich freue mich über meinen nüchternen Verstand und ich freue mich darüber, das ich heute nicht trinke. Ein Selbstgebot, dass ich vor zwanzig Jahren mit meinem Betreuerin Melitta Duscha vereinbart habe. Falls ich mich richtig erinnere, stand auf dieser Vereinbarung geschrieben: In aller Aufrichtigkeit vor Gott, dem Herrn und vor mir selbst verpflichte ich mich, drei Monate keinen Alkohol zu trinken Unterschrift - Melitta Duscha und Reinhardt 0. Hahn. So begann das mit meiner Nüchternheit im Verstand. Vieles war dem vorangegangen. Am 14. 01. 1982 erwachte ich Spätnachmittags. Meine Haut war heiß und trocken, mein Verstand erhitzt. Die Gedanken flitzten durch den Kopf, eilig und nicht zu packen. Bauch, Nacken und Arme zitterten nicht, sie rüttelten mich durch wie beim schweren Schüttelfrost. Ich war in einer fremden Wohnung. Wie, ich wusste es nicht. Wieder mal - wie schon so oft. Trinken, reden, trinken reden und dann nur, noch trinken, trinken, trinken, bis die Erinnerung weg war. Gamma-Trinker oder verständlicher Periodentrinker oder noch verständlicher Quartalssäufer. Wobei die Quartale zeitlich immer kürzer wurden. Monatssäufer - das klingt aber nicht so gut. Das versteht auch nicht jeder. Ich war dabei, meine Chancen abzuwägen. Da war aber nicht viel. Wieder trinken bedeutete, den Schritt vom kleinen Tod zum großen Tod zu wagen. Fast 40 kleine Tode waren vorangegangen. Mein Körper hatte mich satt. Es kotzte und schiss aus mir. Suizid war das nächste, gedankliche Angebot. Dazu war ich an diesem Tag zu feige und zu schwach. Abklappern, die Angst vor dem kalten Entzug ließ mich nach Alkohol und Medikamenten suchen. In diesem Raum fanden meine Augen nichts. Da war die Erinnerung: Erwachen in der Klinik. Erwachen aus dem Prädelir. Erwachen im Dreck, Erwachen in fremden Betten Da war noch ein Angebot, die Abstinenzgruppe der Stadtmission. Alles zusammen erbrachte eine heftige Reaktion in mir, die sich aus dem Schämen, der Wut und der Angst zusammengesetzt hatte. Das Angebot, Alkoholiker zu sein, es zuzugeben. Ein trockener Trinker ist besser als ein toter Trinker. Ich bemitleidete mich, ich weinte um mein verlorenes Leben. Es war ein so sinnloses, leeres, kaputtes Leben. An diesem Tag war ich fast 35 Jahre alt. Zweimal geschieden. Ich war wieder bei den vermeintlichen Ursachen. Ein Kind des Hungers, 1947 geboren. 1953 die Flucht mit den Eltern aus der Ostzone nach Westberlin. Die Kindheit im Westen. Meine Spitz- und Kosenamen: Zahnloseminka, Professor, Hähnchen und Otto. Otto gefällt mir noch heute. Ich weiß es noch genau, um mit Hans Falladas Worte zu sprechen: Ich hatte am 14.01.1982 wieder die Möglichkeit - dem Kleinen Tod zu entrinnen, um in den großen zu flüchten. Ich hatte aber auch Alternativen. Sie aber schienen mir unmöglich. Ich dachte an meine Tochter Simone. Sie war im Hort. Ich nahm es jedenfalls an. Aus diesem Bett kroch ich in das Bad. Diese fremde Wohnung war wie jede fremde Wohnung in der Plattensiedlung. im Bad, hinter dem Wäschekorb (ich sah sie sofort) entdeckte ich ein halbes Dutzend Flaschen „Schwarzer Porter“. Die hätte ich in diesem Augenblick am liebsten zugleich getrunken, gelacht und geweint. Im Spiegel sah ich meine Fratze. De Flaschenverschlüsse gaben nicht nach. Ich schlug den Flaschenhals an der Fensterkante ab. So stand ich da. Unbekleidet, vom Entzug geschüttelt, die Flasche in der Hand vor dem Spiegel. Ich war mir unerträglich. Wieder ging mir die Entscheidung durch den Kopf: Aus, Schluss, Weitertrinken und danach Schluss. In diesem Augenblick war ich so verzweifelt wie noch nie meinem Leben. ich wusste ja, wie es kommen würde. Das Scham- und Schuldgefühl peinigte mich heftig, die Angst vor dem Entzug ebenfalls. Ich heulte wie ein Hund und ließ die Flasche in das Waschbecken fallen. Das dunkle, süße Bier lief vollends aus. Es war eine Schande mit mir. Im besten Alter, mutlos, wehrlos, bindungslos. Los von allem. Los von mir selbst. Bedingungslos zuckte es in Verstand. Ich sah mich an und befreundete mich mit dem Begriff der Kapitulation. Das Trinken aufgeben. Die Hektoliter dieser dieser Welt, die schaffe ich nicht mehr. Kapitulieren und endlich Angebote annehmen. Es gab aber nur das eine Angebot. Es war die erste vernünftige Handlung seit Jahren. Vielleicht war es überhaupt die vernünftigste Handlung in meinem Leben. Es los zu lassen, was ich zu haben glaubte, was sich aber meiner bemächtigt hatte. Einfach weg vom ersten Schluck, weg vom ersten Glas. Die Flaschen öffnen und ausschütten. Damit beginnen. Zwischen den Scherben taumelte ich wieder in das große Bett. Aufgeben und Angebote annehmen. Diese Gedanken drehten sich ständig im Kopf. Dazu der Entzug. Dazu später diese fremde Frau, die mich aufgesammelt hatte. Ich kehrte die Scherben zusammen. Wischte das Dunkelbier auf. Es roch sehr süßlich. Zwischen den kleinen Pausen, die das Erbrechen mir erlaubte, bat ich sie darum, die Stadtmission anzurufen. Sie war enttäuscht. Sie war korpulent. Jemand, den sie nicht kannte, würde mich ihr wegnehmen. Davor hatte sie Angst. Das war richtig. Eine Stunde später stand Wolfgang vor der Tür. Wolfgang - Alkoholiker, so stellte er sich vor. Ich ging auf sein Angebot ein, am nächsten Tag in die Stadtmission zu kommen. In die Gruppe. Ich sollte mich stellen. Über mich reden. Reinhardt - Alkoholiker. Ich schob das weit weg, aber ich ging auf die ersten Bedingungen ein: Keinen Tropfen mehr, kein Medikament mehr, in die Gruppe kommen und über mich reden. Der kalte Entzug, das sind Suppen, Säfte, Herzschläge die sich nicht wiederholen wollen, Schüttelschauer, Halluzinationen und immer wieder die Heimsuchungen durch die Körperöffnungen. Es ist ein Erbärmliches und auch Erbarmungswürdiges Schauspiel. Man ist Beteiligter an einem Stück, dass man selbst gerade schreibt, spielt, sogar lebt. Man will Publikum sein, doch es vergeht einem der Beifall. Die Kraft zu klatschen, die ist nicht vorhanden. Ich forderte für mich selbst wenigstens Linderung oder vielleicht Heilung. Mein Körper zahlte den Tribut, den der Verstand hatte entrichten müssen. Mein Verstand hätte verrückt werden müssen, um all das nicht mehr ertragen zu wollen. Er wollte nicht verrückt werden. Er ertrug es aber auch nicht mehr. lii dieser Nacht und am folgenden Tag schöpfte ich nicht nur Atem zwischen den Anfällen, ich schöpfte ein ganz wenig Mut und ein ganz wenig Hoffnung. Und die Wut auf mein kaputtes Leben wuchs. Kränkung und Liebesentzug. Ich habe mich doch nur nach Geborgenheit gesehnt. Ich wollte doch nur auch so sein, wie die anderen. Die Wohnung, die Arbeit und vor allem die Frau und die Kinder, so wie die anderen auch, -vielleicht ein wenig besser, ich hatte es vielleicht verdient. Genug ist genug: Kinderheim, Beruf, danach auf Montage In Leuna und die Neigung, den menschenfeindlichen Verwaltern einer absurden Ideologie zu verfallen. Liebe und ein Zuhause zu finden. Liebe durch Geben und Helfen und endlich ein Zuhause in mir wollte ich haben. Ich wußte damals nichts darüber. 24 Stunden später saß ich in der Gruppe, zerquält, weinend, zerknirscht. Ich wollte allem abschwören, doch das wollte keiner. Die Angst vor dem Nüchternwerden saß im Herzen fest. Auswege, Ausflüchte, Rückfall. Ich kannte das, alle kannten das. Mein erster tastender Schritt war die Abstinenzvereinbarung. Drei Monate ohne Alkohol. Jeder Tag könnte ein fest werden. Eines ohne Schnaps und Rückfall. Und es ging, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Es lebte sich etwas anders, aber nicht unbedingt besser. Es war der Beginn. Danach das Bekenntnis im Betrieb, ich bin alkoholkrank. Später, ein Bekenntnis vor 500 Menschen, von einer Bühne in einer Nervenklinik. Es war absurd, aber es half. Dazu immer die neue Absprache im Verstand: Was willst du wirklich?. Was tust du jetzt, eben gerade denken?. Sei aufrichtig. Sei ehrlich mit dir selbst, das schadete niemanden. Mach es nur mit dir ab. Von diesem Standort aus immer die Konsequenz, was wird, greifst du zum ersten Gals. Trinke ich, so ist alles wieder anders. Nichts beginnt von vorn, alles geht vom alten Standort weiter, an der ich das letzte Glas getrunken habe. Es ist der Moment, eigentlich die Sekunde, in der ich das Glas zum Mund führe, da wäre alles wieder zu spät. Führe ich gedanklich die Flasche oder das Glas an den Mund. Was habe ich da vor? Heute weiß ich für den Augenblick sogar, wie ich leben soll. Das erste Selbstgebot ist der Inhalt aller Zehn Gebote für mich. Verletze ich mein erstes Gebot, so wird das Brechen aller Gebote sonst für mich zugänglich und normal. Ein nasses Trinkerleben ist ein erbärmliches, ein trauriges Leben. Keiner sollte so leben, doch jeder entscheidet das für sich ganz allein. Da kann niemand helfen, weder die Gesellschaft noch der Staat. Das ist ein Kinderglaube. Auch nur die Annahme ist irrig, weil es um meinen Leib geht, Nur der liebt, der kann helfen. Wer aber hilft dem Alkoholkranken, der sich doch gefälligst selber helfen könnte. Er muss doch nur aufhören mit dem Trinken - mehr nicht? Da ist es gut die Chance und das Angebot zu wählen, dass es in der Stadtmission, hier in Halle im Weidenplan. Weil es nur mit Liebe geht. Ein Kranker kann mich nicht kränken, habe ich mal gelesen und ich glaube, darauf kann man sich verlassen, zumindest hier in diesem Haus. In einer Zeit, die wahrlich bitter und düster war, war hier in diesem Hause Licht. Dafür danke ich den Helfern der Stadtmission. Ich danke der damaligen Gruppe, dafür danke ich Gott. Er spricht aus tausend Mündern überall und täglich zur mir, was ich soll und tun darf. Und, er meint es gut mit mir, so lange ich nicht trinke oder anderen Süchten nachgehe. So gesehen ist vieles, was ich heute tue, vernünftig. Was will ich mehr vom Leben? Zwei drei Sätze noch. Ich bin nicht nur so dankbar, weil ich leben darf. Ich bin dankbar all den Menschen, die Vertrauen zu mir haben. Ich habe eigentlich nur eines dafür anzubieten, das ich auch heute wie jeden Tag, wie schon seit zwanzig Jahren, nüchtern bleibe. Und, ich möchte bei all denen um Verzeihung bitten, die schon vor zwanzig Jahren meine Gefährten waren. Und auch bei denen, die unter meiner Sucht gelitten haben, bitte ich um Verzeihung. Danke sage ich auch heute, nach über vierzig Jahren Kapitulation in der Stadtmission
von Reinhardt Cornelius-Hahn 4. März 2022
Im Leben war ich schon etliche Male unten, mitunter, besonders tief unten. Mit 12 Jahren im Zug von West nach Ost 12 Stunden, zwei kleine Geschwister an der Hand, vor dem Brandenburger Tor, 1961, gezeichnet und zwei Jahre später an der Mauer festgenommen. Danach kamen gute Zeiten. Die beendete ich selbst, 1976 raus aus der SED, danach Literatur, kein Alkohol mehr, Erfolg und danach begann die EINHEIT. Welch ein Drama, über 20 Jahre Wirtschaft, aber nun wieder frei und schreibe....
von Reinhardt Cornelius-Hahn 11. März 2021
Ein ganz normaler Held Rezension aus Deutschland vom 3. Juli 2019 Verifizierter Kauf Sehr berührende Geschichte des M. Dehm. Man erfährt, wie der Held verschiedene Gesellschaftsformen erlebt, wie er sich entwickelt, wie er die Widrigkeiten durchsteht. Man fühlt mit ihm,weil der Schriftsteller die Gefühle des Helden sehr treffend erlebbar macht für den Leser. Erschüttern,was ein Mensch aushalten kann. Gespannt ist man auf den 4. Teil der Trilogie. 400 Jahre deutsche Alltagsgeschichte als Roman Rezension aus Deutschland vom 17. Juni 2019 Von der auf vier Bände angelegten Roman-Tetralogie des Autors Reinhardt Hahn sind jetzt drei Bücher erschienen. Band 3 ist für mich der zugleich packendste Roman. Er beschreibt das Leben der Hauptfigur Meinhardt Dehm in der DDR detailgetreu, insbesondere sein Scheitern an den Strukturen der DDR-Politik. Das alles ist spannend und interessant geschrieben, wenn auch zuweilen etwas ins Politische ausufernd. Hier verläßt der Autor die Romanstruktur und seine Hauptfiguren zugunsten allgemeiner zeitpolitischer Einschübe. Hier sieht sich der Autor in einem bildungspolitischen Auftrag, den er sich selbst gestellt hat. Die eigentliche Romanhandlung aber ist packend, interessant und spannend. Es wird offensichtlich, dass der Reinhardt Hahn hier sein eigenes Leben aufbereitet, was das Werk so authentisch macht: Er hat das alles selbst erlebt, was die manchmal sprachlos machenden Geschehnisse um Meinhardt Dehm nur umso glaubwürdiger macht - das alles ist wirklich so passiert! Mir sagt dieses Romanwerk hundert Mal mehr als jede soziologische oder zeithistorische Schilderung des deutsch-deutschen Alltags. Zumal der Autor ein versierter Erzähler ist, der seine Mittel beherrscht und einzusetzen weiß. Mein Urteil: spannend, flott und interessant erzählt - einfach lesenswert. Dr. Dr. Manfred Lichtblau (Schwerin). Brief von Frank Kuhlemann, einem Freund. Herzlichen Dank für Deine beiden letzten Mails. Ich habe mir beide Videoempfehlungen „reingezogen“; zuletzt die knapp einstündige Lesung, d.h. die nachgeholte Buchpemiere im TV des „Offenen Kanals“ von Magdeburg. Das fand ich sehr beeindruckend. Zunächst Deine Leseprobe der Schilderungen von 1638 ff. und dann die Geschichte mit dem „Knoff-hoff“, wo abgezockte Wessis offensichtlich ehrliche und motivierte Mitbürger aus dem Osten Deutschlands versucht haben, über den Tisch zu ziehen; das fand ich auch irgendwie traurig, dass so zu hören. Also, das ist schon eine Riesenleistung, die Du da vollbracht hast! - 4 Bände über 377 Jahre deutsche Geschichte in 7 Jahren auf rund 1.700 Seiten niedergeschrieben! Donnerwetter! Respekt! Ein Jahrhundertwerk! ... würde ich meinen. Mich interessieren thematisch insbesondere der erste und der vierte Band. Als Vielschreiber und Lesemuffel zugegeben trotzdem eine große Herausforderung! Mich hat allerdings der Name Tetralogie für das Mammut-Werk zunächst etwas verwirrt ... ich war der Meinung, das müsse Quadrologie heißen, aber Wikipedia hat mich eines Besseren belehrt! (Ehrlich gestanden, hatte ich gedacht, dass Tetra etwas mit fünf zu tun hat, daher der Irrglaube). Es ist wirklich sehr schade und war wohl eine Laune des Schicksals, die Deine Lesung in der ständigen Vertretung in Berlin mit dem MP haben platzen lassen. Einmal das Riesenglück, dass Dir solch‘ eine Möglichkeit geboten wurde und dann das genauso große Pech, dass dies in buchstäblich letzter Minute abgesagt wurde. Aber es ist sicher nur aufgeschoben und nicht aufgehoben, gerade bei einem solch‘ zeitlosen Thema, wie Geschichte, zudem noch unsere eigene, die über die Jahrhunderte exemplarisch prosaisch geschildert wird. Zunächst mal wünsche ich Dir und Deinen Liebsten ein frohes Osterfest und warte auf Deine Antwort. Viele Grüße aus Flörsheim Frank Kuhlemann und Familie MAZ von Matthias Anke Bilder zu Kyritz DDR-Bestsellerautor Reinhardt O. Hahn mit Kyritzer Vergangenheit legt neue Romane vor Reinhardt O. Hahn aus Halle legt Band zwei und drei einer Tetralogie vor, die in weiten Teilen in Kyritz und im Ruppiner Land bis Gottberg spielt. In Kyritz hat er eine Zeit im Kinderheim verbracht. ANZEIGE Kyritz/Halle Reinhardt O. Hahn will’s noch mal wissen. Anknüpfen an die Zeit seines DDR-Bestsellers „Das letzte erste Glas“ von 1986, der ihm noch heute „Türen öffnet“, wie Hahn gesteht. Ein am Ende 2000-seitiges Geschütz fährt der mittlerweile 72-jährige Hallenser dazu auf. Genauer: Es sind ganze vier Romane, die als Tetralogie „Das gewöhnliche Bauwerk“ zusammengehören. Die Bücher spielen in weiten Teilen auch in Kyritz und im Ruppiner Land bis Gottberg beispielsweise. Denn die in seinem Leben erste prägende Zeit erlebte Hahn dort in den 1960ern – als Heimkind in Kyritz. Den Draht in die Kyritzer Heimat nie verloren Nach Band eins im vorigen Jahr („Was soll mir eure Schuld“) legte Hahn nun anlässlich der jüngst in Leipzig zu Ende gegangenen Buchmesse die Bände II („Das gewöhnliche Bauwerk“) und III („Die Zukunft war unser Land“) vor. Band vier („Das Paradies im Irrenhaus“) soll im Herbst folgen. Weitere MAZ+ Artikel Jüdische Gemeinde Durchbruch im Potsdamer Synagogenbau? Trebbin Corona: Finanzielle Folgen für die Stadt Trebbin Corona-Krise in Potsdam Neue Klinik-Chefs für die langsame Rückkehr zum Normalbetrieb „Bis dahin bin ich bestimmt auch mal wieder in der Region und veranstalte eine Lesung“, verspricht Hahn, der den Draht in die alte Heimat nie verlor. Denn jene, die 1964 in Kyritz die damalige Wilhelm-Pieck-Schule verließen, schafften es bisher, sich alle zwei Jahre dort wiederzusehen. Ein Deutschlandroman Die eigene Familiengeschichte regte Hahn zu seinem Werk an. Folglich spinnt es sich über Generationen und Jahrhunderte hinweg und liest sich am Ende wie ein „Deutschlandroman“ oder eben „Jahrhundertroman“, wie es so schön heißt. Der erste Band setzt sogar noch früher ein, im 17. Jahrhundert, und reicht bis zum frühen Faschismus, die Zeit des Ersten Weltkriegs und die 1920er Jahre. „Alles begann in Gottberg“, heißt es da etwa, als die Familie eingeführt wird. Walsleben, Kerzlin, Lüchfeld und so weiter sind vertreten. Es ist eine erzählte Chronik. Der Held, die autobiografische Figur Meinhardt Dehm, liest sie im Jahre 2010, als er zur Bestattung seiner Mutter ins Rheinland fährt. Bei einem Republikfluchtversuch geschnappt Hahn hatte die DDR im Juni 1953 als Kind mit seinen Eltern verlassen. Nach deren Scheidung kehrte er 1959 mit zwei Geschwistern und dem Vater in das Land zurück. Doch jener starb 1960. Und die Rückkehr zur Mutter blieb Hahn mit der Schließung der Grenze 1961 verwehrt. In „Das gewöhnliche Bauwerk“ wird diese Spaltung einer Familie in Ost- und Westdeutsche erzählt. Der 15-Jährige wurde kurz darauf bei einem Republikfluchtversuch geschnappt und in Kyritz ins Kinderheim gesteckt. So gelangte Hahn auch an die Pieckschule. Leuna, FDJ, SED und der Alkohol Nach der Zeit in Kyritz zog es Hahn zu den Leuna-Werken. Dem Aufstieg zum Schichtführer und FDJ-Funktionär und allerhand weiterer Posten folgte irgendwann ein Bruch samt SED-Parteiausschluss. Zwei Ehen und zwei Scheidungen später war er nur noch Alkoholiker. Dann habe erst die Literatur ihm wieder Halt im Leben gegeben. Den Kampf mit sich selbst gewann Hahn am 14. Januar 1982. Seither lebt er abstinent. Der 72-Jährige, der nach der Schule in die Region Halle zog, legte voriges Jahr die nun schon 14. Auflage von „Das letzte erste Glas“ vor. Es handele sich um die authentische Version ohne alle Abstriche, die ihm damals gemacht wurden, als das Thema Alkoholismus, um das es geht, derart aufbereitet noch ein krasses Tabu war. Figuren aus Verwandten, Freunden, Kollegen und Gefährten „Nach dem Mauerbau konzentriert sich die große Romanerzählung auf den Helden Dehm, der im Titel ,Die Zukunft war unser Land’ das sozialistische System erlebt, aber auch daran scheitert“, erklärt Reinhard Hahn. „Die Figuren, die aus Verwandten, Freunden, Kollegen und Gefährten in der Arbeit und im Leben bestehen, breiten sich in den ersten drei Bänden aus. Ein Panorama des Scheiterns und Gelingens, Wege in den Systemen selbst brechen ab und enden, neue Perspektiven werden aufgenommen, um Alltag und Leben zu bewältigen.“ 30 Jahre Mauerfall als Termin für Band 4 Dass nun auch der vierte Band „Das Paradies im Irrenhaus“ bis zum Herbst geschafft sein soll, hat seinen Grund: Am 9. November jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. In dem Band geht es schließlich um die weiteren Jahre von diesem Zeitpunkt an bis in die Gegenwart. Wie Verleger Hahn einst selbst gründet dann auch seine Hauptfigur Dehm ein Unternehmen. Er scheitert, steht aber wieder auf – wie so viele. Hahn: „Die Tetralogie erklärt es oder sie versucht es zu zeigen, was eigentlich in den letzten 400 Jahren mit Menschen geschehen ist. Erzählungen in den Romanen lassen die Deutsche Geschichte von 1638 bis 2015 aufleben.“ Und auch am Ende sollen Kyritz und das Ruppiner Land wieder dabei sein. Band II (ISBN 978-3-946169-30-7) und Band III (ISBN 978-3-946169-24-6) sind ab 16. April im Buchhandel zu haben. Von Matthias Anke Newsletter abonnieren Bildergebnis für Kyritz DDR-Bestsellerautor mit Kyritzer Vergangenheit legt neue Romane vor Reinhardt O. Hahn aus Halle legt Band zwei und drei einer Tetralogie vor, die in weiten Teilen in Kyritz und im Ruppiner Land bis Gottberg spielt. In Kyritz hat er eine Zeit im Kinderheim verbracht. ANZEIGE Kyritz/Halle Reinhardt O. Hahn will’s noch mal wissen. Anknüpfen an die Zeit seines DDR-Bestsellers „Das letzte erste Glas“ von 1986, der ihm noch heute „Türen öffnet“, wie Hahn gesteht. Ein am Ende 2000-seitiges Geschütz fährt der mittlerweile 72-jährige Hallenser dazu auf. Genauer: Es sind ganze vier Romane, die als Tetralogie „Das gewöhnliche Bauwerk“ zusammengehören. Die Bücher spielen in weiten Teilen auch in Kyritz und im Ruppiner Land bis Gottberg beispielsweise. Denn die in seinem Leben erste prägende Zeit erlebte Hahn dort in den 1960ern – als Heimkind in Kyritz. Den Draht in die Kyritzer Heimat nie verloren Nach Band eins im vorigen Jahr („Was soll mir eure Schuld“) legte Hahn nun anlässlich der jüngst in Leipzig zu Ende gegangenen Buchmesse die Bände II („Das gewöhnliche Bauwerk“) und III („Die Zukunft war unser Land“) vor. Band vier („Das Paradies im Irrenhaus“) soll im Herbst folgen. Weitere MAZ+ Artikel Jüdische Gemeinde Durchbruch im Potsdamer Synagogenbau? Trebbin Corona: Finanzielle Folgen für die Stadt Trebbin Corona-Krise in Potsdam Neue Klinik-Chefs für die langsame Rückkehr zum Normalbetrieb „Bis dahin bin ich bestimmt auch mal wieder in der Region und veranstalte eine Lesung“, verspricht Hahn, der den Draht in die alte Heimat nie verlor. Denn jene, die 1964 in Kyritz die damalige Wilhelm-Pieck-Schule verließen, schafften es bisher, sich alle zwei Jahre dort wiederzusehen. Ein Deutschlandroman Die eigene Familiengeschichte regte Hahn zu seinem Werk an. Folglich spinnt es sich über Generationen und Jahrhunderte hinweg und liest sich am Ende wie ein „Deutschlandroman“ oder eben „Jahrhundertroman“, wie es so schön heißt. Der erste Band setzt sogar noch früher ein, im 17. Jahrhundert, und reicht bis zum frühen Faschismus, die Zeit des Ersten Weltkriegs und die 1920er Jahre. „Alles begann in Gottberg“, heißt es da etwa, als die Familie eingeführt wird. Walsleben, Kerzlin, Lüchfeld und so weiter sind vertreten. Es ist eine erzählte Chronik. Der Held, die autobiografische Figur Meinhardt Dehm, liest sie im Jahre 2010, als er zur Bestattung seiner Mutter ins Rheinland fährt. Bei einem Republikfluchtversuch geschnappt Hahn hatte die DDR im Juni 1953 als Kind mit seinen Eltern verlassen. Nach deren Scheidung kehrte er 1959 mit zwei Geschwistern und dem Vater in das Land zurück. Doch jener starb 1960. Und die Rückkehr zur Mutter blieb Hahn mit der Schließung der Grenze 1961 verwehrt. In „Das gewöhnliche Bauwerk“ wird diese Spaltung einer Familie in Ost- und Westdeutsche erzählt. Der 15-Jährige wurde kurz darauf bei einem Republikfluchtversuch geschnappt und in Kyritz ins Kinderheim gesteckt. So gelangte Hahn auch an die Pieckschule. Leuna, FDJ, SED und der Alkohol Nach der Zeit in Kyritz zog es Hahn zu den Leuna-Werken. Dem Aufstieg zum Schichtführer und FDJ-Funktionär und allerhand weiterer Posten folgte irgendwann ein Bruch samt SED-Parteiausschluss. Zwei Ehen und zwei Scheidungen später war er nur noch Alkoholiker. Dann habe erst die Literatur ihm wieder Halt im Leben gegeben. Den Kampf mit sich selbst gewann Hahn am 14. Januar 1982. Seither lebt er abstinent. Der 72-Jährige, der nach der Schule in die Region Halle zog, legte voriges Jahr die nun schon 14. Auflage von „Das letzte erste Glas“ vor. Es handele sich um die authentische Version ohne alle Abstriche, die ihm damals gemacht wurden, als das Thema Alkoholismus, um das es geht, derart aufbereitet noch ein krasses Tabu war. Figuren aus Verwandten, Freunden, Kollegen und Gefährten „Nach dem Mauerbau konzentriert sich die große Romanerzählung auf den Helden Dehm, der im Titel ,Die Zukunft war unser Land’ das sozialistische System erlebt, aber auch daran scheitert“, erklärt Reinhard Hahn. „Die Figuren, die aus Verwandten, Freunden, Kollegen und Gefährten in der Arbeit und im Leben bestehen, breiten sich in den ersten drei Bänden aus. Ein Panorama des Scheiterns und Gelingens, Wege in den Systemen selbst brechen ab und enden, neue Perspektiven werden aufgenommen, um Alltag und Leben zu bewältigen.“ 30 Jahre Mauerfall als Termin für Band 4 Dass nun auch der vierte Band „Das Paradies im Irrenhaus“ bis zum Herbst geschafft sein soll, hat seinen Grund: Am 9. November jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. In dem Band geht es schließlich um die weiteren Jahre von diesem Zeitpunkt an bis in die Gegenwart. Wie Verleger Hahn einst selbst gründet dann auch seine Hauptfigur Dehm ein Unternehmen. Er scheitert, steht aber wieder auf – wie so viele. Hahn: „Die Tetralogie erklärt es oder sie versucht es zu zeigen, was eigentlich in den letzten 400 Jahren mit Menschen geschehen ist. Erzählungen in den Romanen lassen die Deutsche Geschichte von 1638 bis 2015 aufleben.“ Und auch am Ende sollen Kyritz und das Ruppiner Land wieder dabei sein. Band II (ISBN 978-3-946169-30-7) und Band III (ISBN 978-3-946169-24-6) sind ab 16. April im Buchhandel zu haben. MAZ Von Matthias Anke Newsletter abonnieren. Nein, es begann nicht harmlos, da gab es eine Vorgeschichte. Am 14.01.1982 war ich ganz unten. Es war mein tiefster Fall. Alles, was ich vorher erreicht hatte (Biografie) war zerstört. Ich sortierte mein Leben und ich wusste an diesem Tag, wie ich leben sollte. Die Sprache der Sucht war allmächtig und massiv. Sicher, dieses Schicksal erleiden oder erlitten viele vor mir und nach mir. Groß wurde meine Dankbarkeit aber durch zwei Vorgänge, eine Diakonin bürgte für mich und ich selbst war es leid, mich immer wieder mit Ausreden und Schuldzuweisungen zu belügen. 1982,. es war mein letztes erstes Glas.Ich schrieb wie besessen. Am 24.12.1983 war das Buch fertig. Es dauerte drei volle Jahr, bis es erschien. Die Sehnsucht nach Nüchternheit im Verstand war beispiellos für andere, für mich. Das letzte erste Glas wurde insgesamt 19 mal verlegt. 270.000 Exemplare wurden verkauft. 1.200 Lesungen nur aus diesem Buch! In den Bibliotheken wurde es 200 bis 400 mal ausgeliehen. 86.000 Zuhörer und Leser hörten mir zu, ich habe Buch geführt wie ein kleiner Preuße. Und, da gab es noch die 300 Briefe, hunderte Zeitungsartikel und immer wieder die Aufforderung zum Gespräch. Das Buch war für viele Menschen eine große Lebenshilfe, die größte für mich selbst. Blumen, Dankesworte, Honorare und Anerkennungen hat es mir eingebracht. Noch heute danke ich der Diakonin, meinen Lesern und mir...Neuer Text Nein, es begann nicht harmlos, da gab es eine Vorgeschichte. Am 14.01.1982 war ich ganz unten. Es war mein tiefster Fall. Alles, was ich vorher erreicht hatte (Biografie) war zerstört. Ich sortierte mein Leben und ich wusste an diesem Tag, wie ich leben sollte. Die Sprache der Sucht war allmächtig und massiv. Sicher, dieses Schicksal erleiden oder erlitten viele vor mir und nach mir. Groß wurde meine Dankbarkeit aber durch zwei Vorgänge, eine Diakonin bürgte für mich und ich selbst war es leid, mich immer wieder mit Ausreden und Schuldzuweisungen zu belügen. 1982,. es war mein Jahr mit dem letzten ersten Glas. Ich schrieb danach wie besessen. Am 24.12.1983 war das Buch fertig. Es dauerte drei volle Jahr, bis es erschienen ist. Die Sehnsucht nach Nüchternheit im Verstand war beispiellos für andere, für mich die Rettung. Das letzte erste Glas wurde insgesamt 19 mal verlegt. 270.000 Exemplare wurden verkauft. 1.200 Lesungen nur aus diesem Buch! In den Bibliotheken wurde es 200 bis 400 mal ausgeliehen. 86.000 Zuhörer und Leser hörten mir zu, ich habe Buch geführt wie ein kleiner Preuße. Und, da gab es noch die 300 Briefe, hunderte Zeitungsartikel und immer wieder die Aufforderung zum Gespräch. Das Buch war für viele Menschen eine große Lebenshilfe, die größte für mich selbst. Blumen, Dankesworte, Honorare und Anerkennungen hat es mir eingebracht. Noch heute danke ich der Diakonin, meinen Lesern und mir.Nur wenige Menschen können von sich sagen oder müssen es von sich sagen, sie seien so tief gefallen, da wäre nur noch der Tod gewesen, der sie zurückgehalten hat, einen, den letzten Schritt zu tun. Ich war mit 35 Jahren genau an diesem Ort angekommen, der mir die Tür zum Nichts öffnen wollte. Da waren ebenso viele kleine Tode wie Lebensjahre vorangegangen, als ich kapitulierte und einsehen musste, ich bin besiegt worden - von der Sucht und nur das Loslassen war die einzige Alternative. Dafür wurde ich fürstlich belohnt, mit Liebe, mit Büchern, mit Lebensjahren und Ruhe im Herzen. Was für ein Gewinn! Heute genieße ich, man möge es mir verzeihen oder nicht, den Neid meiner Gegner, ich kann sogar von Feinden reden. Die Wahrheit hat kaum oder wenig Freunde. Da steht heute noch am Haus ein Graffiti „Säufer!“ Auch die Wut der Menschen, dir mir begegnet sind und sich nach der „Kenntnisnahme“ über meine Person und mein Leben als etwas Besseres dünkten (halten) erstaunte mich nicht. Mein Selbstwertgefühl ist so groß und deutlich in mir verzeichnet, man hält mich für überheblich und kaum erträglich. Da gibt es auch (wirklich) viele Menschen, denen habe ich geholfen habe. Aus Neugier, aus Gründen der Selbsthilfe, aus Mitleid und auch aus Barmherzigkeit Sie fühlen sich beschämt Sie sind verärgert, weil sie die Kraft zur Selbsthilfe und der Annahme von Hilfe nicht haben oder einsehen. Wer will auch schon vor Süchten kapitulieren? Wer gibt nach, es sind doch nur tote Sachen und Dinge, die muss man doch beherrschen können oder nicht? .
von Reinhardt Cornelius-Hahn 6. Januar 2021
Das Ende der neuen Ideen Reinhardt O. Hahn Nachwort - Die friedliche Revolution in der DDR Es ist schon einige Zeit her, da stand ich vor einem Mikrofon im Rathaus der Stadt Halle. Ein Autor aus München, der aus seinem Buch über das Grundgesetz referierte, trug neue Gedanken vor. Es waren Gedanken, die zu Veränderungen im Grundgesetz hätten führen müssen. Das Grundgesetz ist das höchste Rechtsgut, das wir, die Deutschen besitzen. Es schützt uns, profan gesagt, vor den Rückfall in die Barbarei. Das unselige Leid des 2.Weltkrieges hat anderen Völkern und auch dem Deutschen Volk einen Schaden und Schmerz zugefügt, der dieses Grundgesetz gebar, dachte ich mir, und wollte dem Redner vorn nicht so recht folgen. Er fragte auch nach der Würde, die im Artikel I des Grundgesetzes steht und dort, festgezogen und unverrückbar, und vor allem nicht verhandelbar, sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ob das wegen der Umbrüche 1989, der friedlichen Revolution und 2015, der Migration ins Land, so bleiben könne, wollte er wissen? Im Kontext des GG, dass durch Schmerz geboren und gehoben wurde, stellte er auch die Frage, nach dem Inhalt und Sinn des Grundgesetzes? Für mich war es ein Anstoß, an meinem Autor und Freund Johannes Driendl zu denken, der sich als Strafverteidiger und Philosoph zwischen Opfern, Tätern und Richtern für die Würde des Menschen in der Gesellschaft schlägt und in ihrem Rahmen eine Formel gefunden hat, die zwischen Erniedrigung und Todesmut steht, die er das Selbstwertgefühl nennt. Warum ist der Wert der Würde so schwer zu behandeln und warum muss er immer wieder neu bedacht oder gar infrage gestellt werden? Ist der Weg von der Antike bis in die Moderne nur eine Geisterfahrt zum neuen Denken gewesen und wenn, warum fordert er jetzt endgültige Festlegungen für die Werte einer Würde, die allen zusteht? Was ist neues Denken oder was sollte dagegen altes Denken sein? Wir behaupten, wir machen uns der Erde Untertan und glauben, wir würden durch Ordnungsprinzipien und Regeln die Welt beherrschen. Wir möchten darum alle Menschen gleich zufrieden machen. Keine Erschütterungen, keine Kriege oder Revolutionen. Selbstgenügsamkeit und Zufriedenheit, das sind die höchsten, möglichen Formen gleichzeitigen menschlichen Glückes im Land. Sind wir in der Denkkraft Halbgötter geworden? Meinen wir tatsächlich, uns ist die Erde gegeben worden ohne Demut? Sind wir an das Ende einer Fahnenstange der praktischen Vernunft angekommen, die uns für die Zukunft kein unlösbares Rätsel mehr aufgibt? Wie sollen wir überleben, heißt aber die Aufgabenstellung der Zukunft. Können wir darauf eine Antwort geben? Vielleicht sind wir in einem Irrtum unterwegs, der uns unbekannt geblieben ist, und das schon seit tausenden von Jahren. Die Menschheit befindet sich auf einer Zeitreise, unterbrochen von Kriegen, Pandemien und Revolutionen, die das Bild der Zwischenzeiten in den Himmel wachsen ließen. Dabei sind wir, ohne es je bemerkt zu haben, an jenem bedrückenden Ort angekommen, von dem aus wir verblüfft und erschrocken nach unten zurückschauen und stellen fest, hier oben ist die Luft noch dünner und der Verstand verarmt daran in seiner Kraft noch schneller.. Ich nahm das Mikrofon in die Hand, um für die Würde zu streiten. Darum ging ich nach vorn, um deutlicher und sicherer sprechen zu können und fragte ins Offene: Was ist Würde? Vor dreißig Jahren standen meine Freunde, meine Frau und ich dort unten vor dem Rathaus. Unsere Kinder waren bei der Großmutter, falls es keinen Weg nach Hause zurückgeben würde. Es war im Oktober 1989. Wir waren auf dem riesigen Marktplatz der Stadt Halle versammelt. Hinter uns befand sich wie eine Mahnung der ROLAND vor dem ROTEN TURM und vorn auf der Rathaustreppe, da standen die Mächtigen des Bezirkes. Was wir gefühlt und gedacht haben, während dieser Revolution? Das kann ich heute noch genau sagen! Es war zuerst ein gewaltiger Wunsch der nach Veränderung dürstete. Dazu stellte sich das Gefühl ein, das nach Erneuerung schrie und sie auch erwartete. Es gab im Augenblick des Umsturzes keine Vision. Es gab nur eine dumpfe, wachsende Wut, die mit dem Wort Freiheit unbestimmt nach besseren Gesetzen und Gerechtigkeit schrie. Ein stummer Schrei war es auch, der die Masse einte, die zwischen maßlosem Zorn und Todesfurcht schwelgte und litt. Die Wirklichkeit wurde verdrängt, obwohl sie mit entsicherten Handfeuerwaffen und MPs in den dreizehn Gassen ringsum um den Marktplatz stand. Vor uns öffnete sich der feste Boden einer unbekannten neuen Welt. Gefühle wie aus Berge und Abgründe bestehend, die uns verschlingen oder erheben würden. Daraus bestand der gesamte Wille des Volkes. Es forderte, nieder mit dem Alten, weg mit den Politikern und Führern, die jedes Recht für sich beanspruchten, und uns sogar die Ehre und die Wahrheit genommen haben. Ein Revolutionär kennt in der entscheidenden Stunde nur eines an, fort mit dem Gestrigen, mit den Versprechungen, mit den Lügen und weg mit der Angst. Das waren große Worte, damals und heute. Es war ein gerechter Pathos, der in den Worten lag. Die Menschen glühten vor Leidenschaft für ihr neues Bekenntnis, für eine bessere, andere Welt ringsum. Sie wollten sie erschaffen, koste es, was es wolle. Eine neue Welt des Denkens und Verhaltens, eine neue Welt der Werte und vor allem eine Welt mit Würde, die den Menschen zum Menschen macht und ihn nicht zur Aufgabe erklärt. Damals wurde das Grundgesetz auf den Straßen des Ostens gelebt, aber es war uns nicht bekannt. Alle spürten es, so wie bisher durfte dieses Land nicht mehr weiter bestehen. Wir hatten den Verlust des Menschseins erfahren und fühlten uns aber in der Lage, den Weg zur Menschlichkeit zurück zu gewinnen. Der Leidensdruck, durch Betrügerei und Verlogenheit entstanden, war so stark, das er uns zu Revolutionären machte, weil auch der Selbstbetrug und die Selbstzensur erbärmlich das Gewissen terrorisierten. Das waren meine Worte in die Runde der Zuhörer. Mit dem Satz: Wir nähern uns heute wieder einem solchen Zustand, weil wir unsere Konflikte und Probleme nicht lösen wollen, sondern sie verdrängen und uns selbst belügen. Wieder sind wir auf der Suche nach Scheinheiligen und Opportunisten, die die Tugend der Kritik nur vorgeben und heucheln. Die Gesellschaft ist gespalten und so möchte ich prophetisch sagen: „Unsere Kinder fressen die Revolution, die wir gemacht haben, weil sie nur noch von der Konsumtion beschäftigt werden.“ Damit beendete ich den kurzen Beitrag. Der Beifalls war mäßig und der Vorleser wollte danach noch mit mir über meine Worte reden. Ich ging mit meinem Freund, so wie damals mit meiner Frau und meinen Freunden nach der Demonstration vom Platz weg oder besser gesagt, aus dem Saal. Eine Zeitungsnotiz in der hiesigen Presse machte meinen Auftritt rund. In einem Leserbrief forderte ein Buchhändler die imaginäre Gruppe der Leser auf, solche Personen, wie ich eine wäre, auf die könne das Land verzichten. Er, also ich, solle mir ein anderes Land suchen, falls es mir hier nicht mehr gefiele. Dieser Satz kam mir bekannt vor. Ich hatte ihn 1976 schon im ND (Neues Deutschland) im Zusammenhang mit der Ausbürgerungsdebatte gelesen. Kein Wort über die Veränderung des Grundgesetzes, das wir diskutieren wollten, kein Wort über die Würde, die Unantastbare. Nichts darüber stand in der Presse, sondern nur die Beleidigung eines Angepassten und auch sonst schweigsamen, biederen Buchhändlers, der sich hinter der Anonymität einer Email Adresse verbarg. Es waren die Worte eines eingeübten, angepassten Mitläufers. Das sind Menschen, die man ruhig „die Leute“ nennen darf, die sonst schweigend alles mitmachen, und so ähnlich wie eine Läufergruppe, die sich um einen Forrest Camp scharte, von der Küste eines Weltozeans zum Strand des anderen Weltozeans lief und wieder zurückkehrte, um nochmals die wieder entgegengesetzte Küste des schon gesehen Ozeans aufzusuchen. Auch Wasser kann wie Wüste im Verstand das Credo der Ödigkeit sein. Scheinbare Stressbewältigung ohne Sinn üben sie, um den bösen Alltag verkraften zu können und sich selbst vergeben zu dürfen. Die kleinen Missetaten des Schweigens und die der Anpassung an eine schleichenden Entmündigung durch den Staat, davon laufen die „Leute“ gern davon oder gehen mit. In der Stille und ohne eine Form von Verantwortung genießen sie sich als Unschuldige, vorher, mittendrin und auch danach. Nach dem Fall der Mauer waren wir alle keine Verdächtigen mehr, wobei wir aber nach Heuchlern und Opportunisten suchten. Überall galt es, Verräter zu entlarven. Allein 17 OPK Spitzel fand ich in den Stasiakten. Alle waren sie auf meine politische und wirtschaftliche Existenz ausgerichtet. Der Begriff der Dekonspiration kam mir in dieser Lebenszeit unter, er war mir bis dahin neu. Es war nicht möglich, mich als Denunziant zu gewinnen, also denunzierte man mich in jeder Form und überall. 2000 Seiten Akten sammelten meine „Überwacher“, die sie in vier begonnen und zwei vollendeten Operativen Kontrollmaßnahmen (OPKs) ihre Berichte schriftlich niederlegten. Der Blick durch das Fenster auf den Marktplatz vor dem Rathaus, damals von unten, heute von oben, da fühlte ich sie wieder, die unerträgliche Scham und die berserkerhafte Wut über mein gestohlenes Leben, das fremdbestimmt und ideologiekonform vereinnahmt worden war, und wie sich auch Zorn grandios entflammte in einem mächtigen Satz: „Wir sind das Volk!“, das war ein unerträglicher Satz für das Gewissen der Mächtigen, die sich bisher an der Spitze des Volkes sahen und den Bezug des Rechtes, der Gesetze und ihrer Allmacht als selbstverständliche Legitimation nur für sich begreifen konnten. Nun waren es die Arbeiter und Bauern, die in ihrem Staat, der allmächtigen Partei, der SED, die Machtfrage stellten. Der Bezug zu der Ermächtigung, die guten Führer der führenden Partei zu sein, war weg, weil dieser Ruf nicht nur die Arbeiterklasse allein, sondern alle Bevölkerungsschichten im Nu erfasst hatte. Ein Ruf der Bürger, die zu Revolutionären wurden. In der deutschsprachigen Literatur wird das Zitat von Georg Büchner in seinem Revolutionsdrama Dantons Tod (Erscheinungsjahr 1835) verwendet, wo er den Satz einen Bürger ausrufen lässt, nachdem Robespierre feststellt, dass nur der Wille des Volkes das Gesetz sei. Es schien uns Demonstranten 1989 so, als müssten wir nur die Macht anfassen und nehmen, die uns sowieso gehörte. Wir waren plötzlich verantwortungsbewusste, starke und vor allem mündige Menschen, die einen neuen Weg für die Zukunft des Landes suchten, alles im Wege stehende wegräumten und, würde diese Revolution nicht gelingen, so dachten wir, dann käme gewiss das Ende der Menschheit. Sie würde untergehen in Feuer und Tod und mit ihr die gesamte gebaute Welt der antagonistischen Konfrontation! Es war der Weltfrieden, um den es ging, um nicht mehr und nicht weniger, also um alles, weil ein DDR Bürger nur so denken konnte, denn er war durch eine sozialistische Gehirnwäsche geprägt, dessen Gipfel der Bau eines „Antifaschistischen Schutzwalles“ war. Man stelle sich vor, die Mächtigen würden dem sozialistischen Staatsbürger die Revolution nehmen, die er von der Partei der SED ständig eingeredet und vor allem von der großen Sowjetunion erhalten bzw. geschenkt bekommen hatte Für die Revolutionäre, ich befand mich selbst bei ihnen, gab es keinen Weg der friedlichen Revolution zur permanenten Revolution des Sozialismus zurück. Wir mussten sein Ende auf dem Erdball herbeiführen, weil alles sonst in einem wahnwitzigen, heißen Krieg enden würde, womit wir, wenn auch ohne Nutzen, vielleicht Recht behalten hätten. Heute haben wir den endlichen Zustand des Wachsens erreicht. Der menschliche Geist, der Veränderliche, Wunderbare, Grandiose, er kehrt von seinem Ausflug der Klassenkämpfe und seiner Philosophien aus dem Universum der Gedanken-Welten wieder zu dem Alltag der Erde zurück. Das Suchen und Schweben im Großen, in der Unendlichkeit oder noch pompöser gesagt, im Kosmos, zeigte aber auch nach 1989 entlarvend und banal unsere Kleinheit, Unbedeutendheit und Winzigkeit. Die Sorge um das eigene, bescheidene Leben führte uns nicht zu einem Ziel - in eine neue Vision des Sozialismus, sondern zum Kompromiss, zur deutschen Einheit. Es ist festzuhalten, der menschliche Verstand hatte mit dem Sozialismus im Osten (eingeschlossen auch die Große Sozialistische Oktoberrevolution) die Probleme der Erde und die Konflikte der Welt nicht gelöst. Der Makrokosmos der Gedanken mit seinen Facetten, der ungeheuer interessant war und die Geschichte seit 2.500 Jahren vorantrieb, kehrte in die Gegenwart zurück. Die Erneuerung der Gesellschaft oder die Vision von einem neuen Deutschland, sie zerplatzte wie alles Schillernde bis auf den feuchten Rest. Da das Staatsvolk der DDR die Freiheit nicht kannte, wählte es die Unfreiheit eines schon in sich geschlossenen gesellschaftlichen Systems durch den Beitritt zum Bund der benachbarten Republik. Die „alte“ Bundesrepublik besaß 1989 schon ein geschaffenes Eigenbild und kehrte sich davon nicht ab. So kam es nach der Revolution im Osten Deutschlands (nach dem Fall der Mauer) zu einer Wende, die sich einem schon geschaffenen Ziel einer Revolution zuwandte, das sich nicht nach Neuem, Entstehendem und nach einer totalen Veränderung sehnte und sie auch nicht wollte. Die Kapitulation Deutschlands 1945 und seine Besetzung legte die Formen fest und erzwang Inhalte, die weder historisch noch gesellschaftlich neu gewesen wären. Die sterbende, untergehende DDR erlebte ihre Renaissance in einem durch den 2. Weltkrieg geläuterten, nicht mehr aggressiven Kapitalismus, vermittelt von den damaligen Siegern und deren Systeme, wobei der Sozialismus der DDR offenkundig für immer bis auf Fragmente (die PDS) als erledigt abgehakt werden konnte. Die friedliche Revolution in der DDR war zwar das, was man unter einer Revolution verstand. Sie öffnete und stellte rückgewandt die alten sozialen Zu- und Umstände der Weimarer Zeit modern wieder auf, die mit dem westrepublikanischen Zusatz „soziale Marktwirtschaft“, den Import der „überseeischen Kommunikationspolitik“ und mit den Erfahrungen des Schmerzes und Leidens der Linken, verursacht durch den Nationalsozialismus, im Grundgesetz nicht postuliert worden war. Darum kam es zu einer erweiterten Aufarbeitung des Faschismus in Deutschland. Es kam 1989 und später, bis zur Wiedervereinigung am 03.10.1990, nicht zur Verarbeitung irgendeiner revolutionären Idee, die man auch eine realisierte Vision nennen könnte, sondern der Rückschritt, der erst langfristig eine Aufarbeitung der gemeinsamen Deutschen Geschichte ermöglichte, wurde zum Beginn mit dem Zustand und dem Fortschritt der „alten“ Bundesrepublik „verschnitten“. Heute blüht das deutsche Apfelbäumchen in zwei Farbtönen und an seinen aufgepfropften Ästen gedeihen erste Früchte, die neben grünen Äpfeln auch nach roten Birnen schmecken. Der dialektische und historische Materialismus der Philosophen um Marx war keine Lösung. Es war nicht alles teilbar und gleich. Ein gängiges, witziges Zitat meines längst verstorben Onkels, der als Bauer 1960 in die LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) zum Beitritt gepresst wurde, um gemeinschaftlich in der Genossenschaft den Boden zu bearbeiten und das Vieh zu versorgen, zeigt die ganze Lächerlichkeit der sozialistischen Idee und holte auch mich auf den Boden der Tatsachen wieder zurück: „Bist du Kommunist, so teilen wir uns den Mist.“, pflegte er gelegentlich im Stall zu sagen. Alles gleich zu teilen, wäre ebenso das Ende im Leben unserer Zivilisation, die nichts mehr zu verteilen hat, wie alles weiter zu verbrauchen, was schon längst verbraucht worden ist. Alles gleich teilen zu wollen, setzt auch eine Verabredung voraus, den Hunger, den Mangel und die Not ebenso zu teilen. Das widerspräche jeder empirischen Einstellung und dem physiologischem Grundbedürfnis, ja sogar dem Erhalt der Art, die tief angelegt in uns, von mehrfach tausendfacher Dauer der kurzen Zeit der Heranbildung des homo sapiens überlegen ist und zweifellos im Wesen des Menschen betonter hervortritt, als jede Moderne oder auch andere Neuzeit der Zivilisation. Der Staat wird zum Löwen, der alles und alle frisst. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern“(Marx) Diesen Satz schrieb Marx in seinem bekannten Thesen über Ludwig Feuerbach. Meiner Meinung nach müsste es heute heißen: „Die Menschen haben bisher ihr Leben auf der Erde nach ihren Leistungen und Bedürfnissen interpretiert, jetzt kommt darauf an, ihre Welt zu digitalisieren, um die Erde so erhalten zu können, damit wir unser Leben retten werden. . Anders als die politische Philosophie von Hobbes bis Marx, die ihre Aufgabe darin sah, den Menschen ihren Leidensdruck zu verdeutlichen... („dass sie sich fremdbestimmt von absoluten Herrschern im Krieg zu Mördern machen lassen müssen, dass sie in Ketten liegen, dass sie Schlachtvieh sind, dass sie für fremde Zwecke aufgeopfert werden, kurz, dass ihnen jede Würde abgesprochen wird“) ..., wird der Leidensdruck, den die Natur uns Menschen auferlegt, weil wir alles verbraucht haben und so nicht mehr weiter die Zivilisation gedeihlich entwickeln können, uns zwingen, sich der Erde anzupassen oder unterzugehen. Die Schuld daran tragen wir selbst. Die „etatistische“ und die „nihilistische“ Idee werden sich gegenüberstehen, wenn es um den Erhalt der menschlichen Gesellschaft in der kommenden ökologischen Katastrophe geht. Unsere Enkel werden sich schon entschließen müssen, das Schiff der Medusa (Méduse) oder den Kahn der Hoffnung zu besteigen. Wir wissen nicht, wie sie sich humanistisch entscheiden können. Bisher hat die Vernunft selten gesiegt. In der Zukunft wird es nur darum gehen, das Ende aller abzuwehren, weil es kein “weiter so“ oder „wir schaffen das“ mehr gibt. Es kann sein, die Lehre aus der Pandemie Corvid19 ist ein Ansatz für eine Entscheidung zur freiwilligen Vernunft, die nicht erzwungen werden muss. Eine Welt mit Regeln ohne Strafen, was für ein Traum für die Menschheit, der wahr werden könnte.
von Reinhardt Cornelius-Hahn 29. November 2020
Das Coronaphon - Eine unerhörte Rede Er hatte alles gut vorbereitet. Der Betreiber des Theaters sagte nach recht kurzem Nachdenken zu, als Deinhardt ihm für die halbe Stunde auf der Bühne, mit Blick in den Saal, noch einhundert Euro Miete in die Hand drückte. Heute war es so weit. Deinhardt Coronius, der Redner, stand auf der Bühne, verneigte sich ein wenig und nahm hinter dem Tisch seinen Platz ein. Licht flammte auf. Der weiße Kegel hüllte Coronius ein, der grell angeleuchtet merkwürdig einsam und blass wirkend am Tisch saß. Er nahm das Manuskript, blätterte darin, nickte den Seiten zu, legte einen kleinen Stapel ab und nahm die erste Seite mit den Händen. Er begann daraus vorzulesen. Ohne Anrede kam er sofort zur Sache. „Bringt Corona die Menschheit um? Geht es nach Corona weiter? Wo kommt Corona her? Ist Corona von Menschen gemacht, wie ein Krieg und alle warten den nächsten Luftangriff ab, voller versteckter Angst, weil sie nicht wissen, wohin die nächsten Bomben fallen werden?. Ich sage: es ist höchste Zeit, dass es diesen Virus endlich gibt. Dass er gekommen ist, um uns zu heilen von der Maßlosigkeit. Ist das Zynismus, ist das, die Menschheit verachtend? Wie komme ich dazu, so etwas zu behaupten? Ich habe ein Buch über die Sucht geschrieben. Ein gutes Buch. Viele Leute haben es gelesen, fast unvorstellbar viele. Was ist Sucht eigentlich? Einfach erklärt, sie ist das Ergebnis einer Gelegenheit, die zur Gewohnheit führt, welche von der Triebhaftigkeit abgelöst wird. Triebhaft entschlossen wird Unleidliches und Unangenehmes verdrängt und nicht mehr kontrolliert. Der Süchtige verliert nach und nach den Überblick über alle Konflikte und Probleme, die ihn bedrängen. Er löst sie nicht mehr, und seine Lebenszeit wird von der Suche nach Suchtmittel und den Folgen des Rausches übernommen. So sucht er die Heilung von einem Zustand, den er selbst herbeiführt. Von der seelischen Abhängigkeit ist es nur eine kleiner Schritt, der zur Angewöhnung des Leibes in eine andere, neue Verstoffwechselung führt. Der Süchtige verwechselt sie nicht, er wechselt sogar die Welt. Die Abhängigkeit wirkt zwanghaft und bestimmt das neue Sein, welches von der Suche und dem Gebrauch des Stoffes verlangt wird, weil es der Körper schmerzhaft einfordert. Der veränderte Stoffwechsel, der unumkehrbar ist, er ist die Erkrankung an sich. Der Entzug entwickelt ein solch starkes Verlangen, dass er letztendlich alle Lebensumstände des Erkrankten bestimmt. Der Verstand vermittelt keine Einsicht und auch kein Mitleid für den Leib des Erkrankten. Der tiefste Fall des Süchtigen, der den Stillstand der Erkrankung nicht zulässt, ist der Tod. Der Kranke kann fast bis zuletzt wählen, falls er kein Korsakow-Syndrom hat, ob er dem Tod ein Leben ohne Suchtmittel vorzieht. Er kann nicht nur, er muss sich aus allen seelischen, gesellschaftlichen und körperlichen Verlangen, von der Erleichterung, auch dem Rausch, also tatsächlich vom Suchtmittel lösen. Trocken zu sein, wie es in der Alkoholikersprache bezeichnet wird, bedeutet aber auch, für alle anderen Süchte (es gibt wohl mehr als 30 Suchterkrankungen), den Verstand zu ernüchtern und ihn frei von der Unfreiheit eines zwingenden Verlangens, von unerfüllbaren Wünschen und sogar von Ideen zu machen, die der Süchtige nicht überschauen kann. Nur der Süchtige, der sich von seinem Suchtmittel lossagt und sich der Nüchternheit stellt, rettet sein Leben. Er kapituliert vor der Betäubung und vor dem Rausch, die ihn vor der Veränderung durch eine Verstoffwechselung das Leben scheinbar angenehm gemacht haben. Fantasie, Träume, Illusionen sind die wahre Gefahr für den Kranken. Die Nüchternheit und das Anerkennen der Wirklichkeit dagegen sind sein Glück. Dieses Glück in einer sich ständig betäubenden Welt zu finden, ist eine schwere Arbeit. Sie ist ebenso schwierig, wie Freude am Leib zu finden. Was Kindern gegeben ist, muss mühsam im Alter errungen werden. Die Liebe zu sich selbst ist nur dadurch zu erfahren, behütet und liebt man seinen Leib, der oft fälschlicherweise als Körper und damit als minderwertig bezeichnet wird. Er ist das einzige Haus, das der Mensch bewohnen kann. Der Leib ist ein Ort der Wärme und der Liebe und auch der Fürsorge. So einfach ist das! Ein Mensch, der sich nicht liebt oder seinen Körper nicht ehrt, ist ein Fremder, ein Ausgestoßener in seinem Selbst. Ein Mensch, der sich hasst, der ist für die Welt und für sich verloren. Seine Seele stirbt in langen Raten, die aus Zweifel und Hoffnung, aus Angst und Wut bestehen. Der Leib ist der Wirt, der Verstand ist sein Gast, und oft ist der Geist nur auf der Reise durch den Leib, um Lust oder Begierde zu empfinden. Der Reisende nennt sie Erfahrungen oder das Verlangen, was er sammelt und stillt. Parasiten und Viren suchen sich einen Wirt, um zu schmarotzen, sich zu laben oder um weiterleben zu können. Breitet sich ein Parasit zu sehr im Leib des Wirtes aus, so stirbt er ebenso, wie durch ein Virus das Leben des Wirtes verändert oder gar zerstört wird. Aber, wir haben es eben erfahren, auch der Verstand eines Menschen kann ein Parasit oder ein Virus sein, unterwirft er seinen Leib. Doch oft genügt das nicht, nur den eigenen Körper zu bezwingen oder zu unterwerfen, ihn also zweckdienlich herzurichten, weil das allein nicht den Verstand befriedigt. Er will immer mehr, um vielleicht das, was er edel Seele nennt, zu sättigen. Darum breitet sich das Denken, ebenso wie ein Virus, im Verstand aus, wird parasitär und hält sich für göttlich. Zwanghaft, ergreifend und umfassend wie eine Pandemie untersucht und vereinnahmt der Verstand die Verwertbarkeit der vorhandenen Ressourcen. Der Stamm der Menschen hat sich schon lange parasitär des gesamten Planeten bemächtigt. Die Menschheit saugt und schmarotzt die Erde aus. So, wie aber der Mensch lebt oder besser leibt und mehr oder weniger darauf achten muss, was sein Körper machen sollte oder tun müsste, um zu überleben, so sollte die Menschheit ihren Corpus, eben den blauen Planeten, auch sorgsam pflegen und behüten. Der Verstand, der Gast des Leibes, verlangt viel Leid und Lust von ihm. Was ist zu tun, damit er nicht daran stirbt? Das Leben eines jungen Menschen scheint ewig und unendlich zu sein. Der Verstand lernt es auch so, aber nach und nach erst, durch Einschränkungen, den Leib am Leben zu halten, bis er an seine Grenzen stößt. Darüber ist nur der Himmel, und er ist unbegrenzt. Dort kann sich der Leib nicht mehr erholen. Ohne Regeln und Grenzen gibt es keine Gesundheit. Sinnentleert wird ein Mensch einsam. Allein geblieben, verliert er nach schweren Erkrankungen sein Haus. Das Leben. Der Mensch hat nur einen Leib, die Menschheit bewohnt nur die eine Erde. Die Menschheit macht sich die Erde untertan, ohne Einsicht bis hin zur ihrer Zerstörung. Es gibt aber für einen Menschen kein zweites Leben, ebenso wie es für einen Menschen keine zweite Erde gibt. Was macht man mit einem kaputten Planeten, den wir aus Liebe mitunter auch unseren Stern nennen? Ein Mensch darf, kann oder muss sterben nach seinem Leben, er ist ersetzbar. Die Erde ist für die Menschheit aber unersetzlich. Das, was auch für einen Mensch mitunter gilt, das trifft auch für das Leben auf unserem Planeten zu.“ Deinhardt Coronius erhob sich. Seine Hände zitterten ein wenig. Er legte das Manuskript beiseite. Er sammelte seine Gedanken und versuchte sie freier darzulegen. „Ich habe mir vor vier Jahrzehnten selbst geholfen. Ich war verzweifelt und sah keinen Sinn mehr in allem. Die Sucht musste ich abschütteln und habe es langsam gelernt, zu verzichten und das Suchtmittel abzulehnen. Das hat mich geprägt. Es klingt oberlehrerhaft, ich weiß. Ich besaß doch nichts mehr, hatte nur noch das nackte Leben, wurde nicht geliebt, die Familie löste sich auf und alle meine Freundschaften gab es nicht mehr. Ich dachte mir, in der Wüste braucht man auch nur Wasser. Ich war ja noch da, ein psycho-sozial-somatisch Erkrankter. Fast ohne Hoffnung. Mitunter denke ich, das Leben auf der Erde besteht auch aus einer psycho-sozialen-globalen Erkrankung der Menschheit, die im Strudel der Gier, süchtig geworden, das gesamte gegenwärtige Leben auf dem Planeten und sich mit in den Tod treibt und reißt. Wir denken anders als wir leben dürften. Wer ist bereit, vor der Lüge und dem Selbstbetrug, mögen sie noch so gut oder glaubhaft sein, zu kapitulieren? So wie die Knochen marode sind, das Fleisch müde ist, das Blut dick und verseucht durch Sucht wird, so ist unsere Erde vermüllt, ist das Wasser verdreckt, ist die Luft verschmutzt. Es ändern? Loslassen, aber wie? Lügen, für wen? Betrügen, etwa sich selbst? Von hundert Menschen, die krankhaft süchtig werden, sterben 93 innerhalb von zehn Jahren ihren Tod, weil sie nicht kapitulieren, also aufgeben können. Sie glauben immer wieder, sie könnten den Tod überlisten, ihn kontrollieren oder einfach gesagt, von der Schippe springen. So ist das nicht, so geht es nicht! 93 von 100 sind nach zehn Jahren zutiefst abhängiger Sucht tot. Der Verstand besiegt den Leib, weil er dessen Leibhaftigkeit, die aus Essen, Trinken, Atmen und Bewegen besteht, nicht akzeptiert. Er ruiniert, schwächt und marodiert ihn, bringt ihn um. Den Krieg, den das Denken gegen den Leib führt, gewinnt der Verstand in dem Moment, wenn der Leib stirbt. Es ist der letzte und der einzige Sieg des Süchtigen, danach ist er verloren. Wie ist das mit unserem Planeten, und was ist zu tun? Welche Aufgabe hat die Menschheit, die wie ein Virus auf, über und um Erdball tobt? Hat die Welt, wie wir sie verstehen, eine Chance? Vielleicht noch eine oder zwei dramatische, globale Höhepunkte oder vielleicht zehn oder zwanzig Jahre hat der Planet nur noch vor sich. Die letzten klimatischen Katastrophen mit ihrer Kraft und Naturgewalt, die alle Menschen erleben werden, wird sie versengen, ertränken oder erschlagen! Uns bleibt nur noch die Kapitulation vor dem Überfluss, an dem wir ersticken. So wie die Überbevölkerung, die Armut, die Unbildung, die Rüstung und die Verschmutzung zugegeben werden müssen, so muss die Menschheit kapitulieren. Wir kapitulieren, lassen alles los, und wir bejahen die Bildung, die Abrüstung, die Sauberkeit im Wasser und die saubere Luft. Das wird für uns ein großer Verzicht werden, Ordnung zu schaffen (was für ein berühmtes Wort, das man mit Leben erfüllen sollte). Ordnung und Sauberkeit für unsere Kinder. Wie banal das klingt, aber es wird der Gewinn! Wir lösen uns von Religionen und Ideologien, die neues Missionieren auslösen möchten und neue Zukunft mit Hilfe von überirdischen Wesen oder Phantasmen versprechen. Wir retten unser Leben vor diesen Heilsversprechungen und Verschwörungen. Wir werden vor der Fauna und Flora kapitulieren, denn man kann nichts miteinander tauschen, es sei denn mit dem Verzicht, der als höchste Gunst angesehen werden muss. Eines gegen das andere zu tauschen ist nur möglich mit dem einfachen Angebot des nüchternen, natürlichen Verstandes, dem die Gier und der Besitz, die falsche Lust und die Wünsche, fernbleiben?“ Deinhardt Coronius spürte es, in den letzten Sätzen lag das Wesen und der Kern dessen, was er mit seiner Rede sagen wollte. Er versuchte im Saal das Publikum zu entdecken, um eine Reaktion einschätzen zu können, doch da war nichts. Das Licht war auf die Bühne gerichtet, kam von allen Seiten und war schattenlos. Geblendet senkte er den Kopf und trug weitere Gedanken aus dem Manuskript in langen, schwierigen Sätzen, vor. „Das Leben retten vor einer Zukunft, die uns umbringen könnte, das ist das einzig Wahre, was uns antreiben muss. Es ist die Vergangenheit, die einzig wahr ist. Sie gibt uns die Chance zur Besinnung. Wir können nur noch das tun, was wir wissen. Die Vergangenheit ist unbestechlich und unbesiegbar, in ihr wurde alles schon erlebt. Wie sollen wir leben, heute und jetzt, flüstert sie uns zu? Ja, eben heute aufräumen, jetzt alles säubern und im Augenblick, den Dreck und den Schmutz begreifen, ihn auch anfassen und entsorgen, weil er sonst unsere Zukunft verdirbt und erstickt, von der wir sonst nichts wissen. Es ist der Stillstand, der Augenblick, eben das Momentum, das wir zum Sieg führen müssen. So wie der Süchtige es sich jeden Tag sagen muss, heute nehme ich kein Suchtmittel zu mir, weil ich sonst sterben muss, heute bleibe ich trocken. So ähnlich müssen wir auf alle Erfahrungen zurückgreifen. Eine Chancen nutzen, um das eigene Leben zu retten. Menschen brauchen nur fünf Dinge, mehr nicht. Sie haben sie selbst in der Hand und können sie mit den Fingern abzählen: die Bleibe, das Wasser, die Luft, die Wärme und das Wissen darum. Sind das nicht Gründe genug, um leben zu wollen? Nur die Nüchternheit im Verstand macht Leben möglich. Sie macht die Freude am Jetzt klar, sie ist die Chance, Probleme zu lösen. Die Konflikte, die uns sonst unüberwindbar erscheinen, sie sind wie ein Berg, den wir jeden Tag mit Mühe besteigen müssen, um den Gipfel erreichen zu können, die müssen wir lösen lernen! Die Mühsal und Lasten, die uns Generationen aufgebürdet haben, tragen zu lernen, ist unsere Last, die zur Lust werden muss. Die Zukunft, an die wir glauben und die wir im Verstand als Idee und Wunsch tragen, sie ist zu schwer für uns, für die Menschheit. Wir tragen zu sehr an unseren Wünschen, sie sind auch das Tor zum Hass und zur Hetze, werden sie uns nicht erfüllt. Selbst musste ich das auch begreifen, sehr früh und noch sehr jung: Ich habe nur ein Leben und kein zweites. Das eine Leben sagte es mir nicht nur, nein, es schrie mir ins Gesicht, so sollst du leben! Mache nicht nur das, was du dir wünschst, mach das, was du sollst, mache auch mal nichts oder nur das, was du bezwingen kannst. Es reicht aus, einen kleineren Stein nach oben zu tragen oder zu rollen, und es wäre gut, da oben keine Aussicht zu erwarten ist, als die, die vielleicht nicht besser ist, als das Tal, aus dem du eben gekommen bist. Unser Planet ist wie unser Leben ein Geschenk auf Dauer, werden beide gepflegt und werden seine Wunden immer sofort geheilt. Darum müssen wir auch lernen, die Dinge loszulassen. Wir dürfen freudig vor der Göttlichkeit und Allmacht unseres Planeten kapitulieren, so lange es uns gibt. Vor seiner Schönheit und seiner Herrlichkeit ebenfalls. Warum auch nicht? Abstandnehmen durch Kapitulation. Zur Schöpfung gehören Demut und Verzicht. Man kann nicht alles sich zu Eigen machen oder mehr besitzen, als man braucht. Früher habe ich mir meine Arbeit, meine Freunde, meine Familie und sogar die Festigkeit meiner Gesundheit genommen. Ebenso wie die Menschheit, die sich alles nimmt und meint, es sei noch unerschöpflich viel von allem vorhanden, wohl wissend, es ist schon mehr verbraucht, als vorhanden ist. Wir nehmen uns das Doppelte von dem, was da ist. Wir zerstören die Hülle der Erde auf der Suche nach besonderen Erzen, wir verunreinigen das Wasser in den Flüssen, den Seen und den Ozeanen. Wir zerstören aus Habsucht die Welt der Tiere und der Pflanzen, und wir denken, das geht uns nichts an, das sind wir eigentlich gar nicht und wenn, es ist ja für uns da, wer sollte das sonst wollen, was es alles gibt? Das wird schon wieder, wie alles, weil sie, die Zeit, eben alle Wunden heilt. Nein, die Zeit heilt unsere Erde nicht. Entweder sie stirbt und wir mit, oder sie schüttelt uns ab durch ihre Kapitulation, die wir ihr aufzwingen. Sie wird uns nicht mehr tragen wollen. Warum auch sollte sie uns ertragen? Also Nachgeben auf beiden Seiten. Wir Menschen glauben, wir sind von Gott, aber wir werden bald auch von ihm verlassen sein, denn die Erde ist Gott, weil sie unsere Welt trägt. Bald haben wir keine Wälder, keine Luft mehr zum Atmen, kein Wasser zu trinken, und dann kommt die Zeit, die uns allen den Tod bringt, der viele Gesichter haben wird, aber nur ein Ende. Es sind nicht nur Durst und Hunger, nein, dazu kommen noch Hitze, Explosionen, Atomschläge, falls es die Geschichte der Menschheit am Ende gütig mit uns Menschen meint, weil wir für alles eine Ausrede oder Begründung brauchen, wie alle Süchtigen, die sie benötigen oder gar besitzen, kommt ein Komet oder ein Asteroid, und der macht Schluss mit dem Unglück, das wir über den Planeten und über uns gebracht haben. Zwar ist ein schlechtes Leben immer noch besser als ein guter Tod, der wird aber von einer besseren Ausrede sogar noch übertroffen. Süchtige ziehen ihrem Suchtmittel, in dem Falle der Gier, dem Neid und der Knechtschaft ihres Verstandes, den Tod vor. Er ist das kleinere Übel gegen den Verzicht, den ich hier Kapitulation nenne. Nur wenige Menschen begreifen, dass der Tod das Ende ist. Nur der nüchterne Verstand glaubt nicht an ein Leben danach. Er ist der Retter! Die Menschheit ist hohl, leer, krank und nicht nur gottverlassen. Sie ist auch selbstvergessen, aber nicht wie ein Kind, das träumt, sondern wie ein Mörder, der sich an das Töten gewöhnt hat, was es ja auch gibt. Die Tode der Menschheit stehen unmittelbar vor uns, wie der Leib eines Süchtigen, der eines Tages seinem Herren da oben, dem Verstand, sagt: ICH habe genug von dir und von meiner Angst um mein Leben. Darum verabschiede ich mich von dir. Ich morde dich, weil du mir den Atem für unser Leben nimmst. Mag das Leben in dir noch so betteln, bitten, flehen oder schreien. Ich werde dich nicht mehr tragen und dein Haus sein. Ich bringe dich um. Doch wer ist ICH? Da hilft nur die Einsicht in die Wirklichkeit, die den Verlust deutlich macht, schrill, entsetzlich und unüberhörbar. Das ist der nüchterne Verstand. Die Erde sagt auch, ich bin der Herr über eure Leben und ich bin auch der Todmacher. Ohne Nüchternheit im Verstand wird das keiner von euch begreifen, auch die nicht, die eben noch bereit waren zu behaupten, nicht krank zu sein. Jetzt kommt ein Virus und breitet sich pandemisch aus. Er ist eine Zäsur, die den Stillstand von uns allen erzwingt. Er ist der Asteroid, der einschlägt, wenn wir uns nicht wehren und seine Existenz nicht anerkennen wollen. Kontakte, Gewohnheiten, auch Schulden, sogar das Lachen und die Freude, sie werden verschwinden hinter dem Horizont im All, dorthin, wo schon immer der Alltag des Universums war. Die Botschaft der Pandemie ist einfach, sie ist unsere letzte Möglichkeit, nochmals, verdammt, wie oft schon, nun aber wirklich neu zu beginnen. Bleibt stehen, stoppt euren Willen und euren Fortschritt und haltet jede Veränderung auf, die nur Neues, aber nichts Anderes verlangt. Lebt nach meinen Regeln, sonst bringe ich euch den Herren Tod in Haus. Bisher konnten wir Menschen immer sagen, wir wussten zu wenig über das Leben, über das, was es mit uns macht, was es von uns verlangt. Wir konnten bisher gebrochen in die Zukunft schauen und deren Forderungen verfolgen, doch heute ist die Zukunft jetzt! Vergangenheit mit all ihren Erfahrungen und Zukunft mit ihren Vorstellungen, sie prallen aufeinander, heute, eben, jetzt und überall in der Gegenwart. Es ist noch gar nicht lange her, da bezeichnete man die Suchterkrankungen als Laster. Bald konnte man es lernen, sich selbst zu helfen, indem man anderen half, um so zu begreifen, was Hilfe eigentlich ist. Was ist Gerechtigkeit, was ist Menschlichkeit, was Verantwortung? Was sind wir uns wert? Zu oft schon kamen wir zu spät zu der Einsicht, versagt zu haben oder wollten es nicht wissen, was morgen sein wird. Wie sagt man, lobet den Tag und verrichtet eure Werke, damit ist genug getan. Eine Krankheit erzählt den einzelnen Menschen das, was er über sie wissen muss, und wie er sich verhalten sollte. Mit einer Lungenentzündung stellt man sich nicht nackt im Regen auf das Hausdach. Besser, man hört auf seine Krankheit, und man legt sich ins Bett. Wenn wir heute noch so wie starke, unbezwingbare Menschen leben wollen, so leben wir falsch. Corona oder Corvid19 sagt, egal wie wir diesen Virus nennen, wenn wir keinen Abstand halten und uns nicht voneinander trennen können und vor allem nicht loslassen wollen, so sind wir morgen tot. Die Pandemie verlangt es von uns. Das ist noch der einzige, wirkliche Schutz, um nicht durch die Unwägbarkeit eines banalen und auch erbärmlichen Todes sterben zu müssen. Fürchtet euch, das Ende ist nah, würde ein Seher sagen, der den Weinschlauch von der anderen Seite des Berges Golgatha nach oben auf die Spitze trägt. So wie der Mensch sich überflüssig machen kann, weil sein Leib den Verstand nicht mehr erträgt, so sind wir hier auf diesem Planeten auch unnütz und unerwünscht. Der Virus ist eine untote Kreatur, die winzig und gefährlich für das Leben aller ist. Nun haben wir Leben nicht nur in der analogen Welt, sondern auch in der digitalen Welt, hier leben unsere Gedanken und unser Wissen fort. So wie analoge Partikel in uns wirksam werden, so können wir uns auch mit digitalen Informationen, die unsichtbar aus Nullen und Einsen entstehen, gegen die Pandemie wehren. Mit diesen Informationen können wir eine Ehrlichkeit und Offenheit erzeugen, die uns allen hilft. Wir können uns über Corona hinaus verständigen. Nur so machen wir uns sauber, stark und öffnen uns füreinander, aber wir berühren einander nicht. Wir können Abstand halten, so wie der Süchtige, der seinem Suchtmittel fernbleibt. All das regelt die Demokratie mit ihren Ruf nach Würde, nach Gestaltung, nach Wahrheit und Offenheit. Sie sind die einzigen Gründe, ein sinnerfülltes Dasein zu versuchen. Die Demokratie ist der einzige Weg, eine Kapitulation vor der Übermacht der Natur und dem Selbstbetrug zu zivilisieren. Mich erinnert Corona an das Ende des 1. Weltkrieges“, hob Deinhardt Coronius die Stimme. „Nach diesem Krieg stand in Deutschland noch alles, die Fabriken, die Häuser, und die Straßen und Schienen waren befahrbar. Das Land schien unversehrt, aber es waren an den Fronten fünf Millionen junge Menschen gefallen, zerfetzt, zerrissen, im Chlor vergast oder zu Krüppeln gemacht. Die Kapitulation danach, sie musste kommen, aber sie genügte nicht. Es war vielleicht auch ein schlechter Vertrag auf die Zukunft. Die zweite Welle, um im Bild zu bleiben, sie war schrecklich. Die halbe Welt lag in Trümmern, der Faschismus hatte ganze Arbeit geleistet, 70 Millionen starben einen sehr erbärmlichen Tod. Der Krieg wurde bis zu seinem Ende auch wie ein Gesetz, wie unabdingbar hingestellt behandelt. Wie von Gott gewollt. Erst danach rechnete der nüchterne Verstand mit ihm ab. So könnte man auch die Pandemie beschreiben, sieht man nicht schon jetzt in ihr einen Neubeginn. Das Land, das unsere Eltern aufgebaut haben, es steht noch. Mitunter mussten damals die Menschen an die Angst vor der Neutronenbombe denken. Sterben im Atomblitz, doch in den Städten brannte noch das Licht, so hätte es fast kommen können, wäre da nicht eine Besonnenheit aufgekommen, die die Menschheit gerettet hat. Vielleicht war es auch der nüchterne Verstand, der das Leben schonte und für das Leben kämpfte. Heute sind wir am Ende jedes Wachstums und des Fortschritts angekommen. Wir müssen begreifen, wir sollten uns mit dem begnügen, was wir uns nehmen dürfen, von der Natur, von anderen Menschen. Könnte man nur die Zeit anhalten! Wir brauchen den Stillstand. Alles ist fast verbraucht, leer und weg. Bald gibt es nichts mehr, was man verteilen könnte. Nun fressen die Kinder unsere Revolution, ohne uns zu fragen. Wir haben ihnen zuviel Kuchen zum Essen gegeben. Es ist doch nicht zu viel verlangt, was ich einfordere, Zufriedenheit und Gesundheit für alle, und ich erwarte, dass man auch mit sich selbst gut ist. Nur so kann ich mir Leben und Überleben vorstellen, und nur so kann man Pandemien und Kriege besiegen. Eine Pandemie ist ausgebrochen. Sie grassiert weltweit. Doch auch der Rückblick in die Jahre ist erschaudernd und schön. Einerseits in der spannendsten Zeit der deutschen Geschichte gelebt zu haben. Kein Krieg. Noch keine Sintflut. Andererseits wieder die Flucht der Gesellschaft nach vorn, geführt von der Politik in ein neues WIR. Fünfmal wurde den Menschen das Ich, die Verantwortung über sich selbst, weggenommen und das kollektive Wir verlangt. Wir reden, denken, essen, riechen und hören anders. Das wurde versprochen oder verordnet. Die Ursache war denkbar einfach, aber furchtbar: 15 Kriege wurden in vierhundert Jahren geführt. Fast ausnahmslos gingen sie vom deutschen Boden aus. Ein Land, das keine innere Einheit besaß, zerstörte sich selbst und baute sich wieder auf. Es gibt kein vergleichbares Land auf dieser Welt, das ständig sein Wesen, seine Gesinnung und seine Werte so gewechselt hat, wie es die Deutschen taten. Heute haben sie das Ende aller Zukunftspolitik erreicht. Sie endet in dem lapidaren Satz: Wir schaffen das! Vielleicht liegt im Loslassen die neue Meisterschaft der Deutschen? Es kann sein, die Seuche Corvid19 erzwingt es. Die Kapitulation vor der Natur muss erfolgen, weil alle Vorräte zerstört worden sind. Die Erde ist nicht mehr unser Nest. Auch die Ideale sind unbrauchbar und verraten wworden. Jetzt führt uns die Pandemie nach unten. Tiefer geht es nicht. Der einzige Sinn deutscher Zukunft ist vielleicht ein nüchternes, aufgeklärtes und gerechteres Leben in Demut. Das große Saubermachen der Erde muss beginnen, so oder so. Doch keiner weiß, wie es aussehen soll, weil der Blick auf den Tag verloren gegangen ist...“ Coronius hielt inne. Das war seine Rede an die Welt. Der Betreiber, der wegen Corona das Klubhaus schließen musste, kam zu ihm. Deinhardt fragte, ob ihm die Rede gefallen hätte? „Ja, schon“, erwiderte der. „Doch was ist zu tun?“, wollte er von Deinhardt Coronius nun wissen. „Sie hören mir alle nicht zu. Auch Sie nicht. Die Zukunft findet nicht mehr statt. Wir müssen vor der Zukunft kapitulieren. Sie loslassen - endgültig! Unser Ziel ist die Gegenwart, die Qualität des Lebens. Dafür setzen wir alle Kräfte ein. Die Menge ist unser Feind. Alles muss besser werden, jeden Tag und nicht morgen, nicht im Plan und auch nicht in der Hoffnung. Was wollen Sie und ich mit ungenießbarem Wasser, mit heißer Luft, mit hohlen Verstand und leerem Bauch? Uns kann auch kein Krieg mehr helfen. Sie wissen doch, was ich meine?“, antwortete Coronius unwillig. „Darf ich das Bühnenlicht ausmachen?“, fragte der Hausherr. Deinhardt Coronius nickte und legte das Manuskript zusammen. Im Saal saß kein Mensch. Niemand durfte heute hier sein. Deinhardt fühlte sich einen Moment entsetzlich allein, doch er verbeugte sich vor den leeren Plätzen, den Rängen und Logen. Danach drehte er sich um und trat ab.
von Reinhardt Cornelius-Hahn 29. November 2020
Ja, warum kein Likes für diesen Text. Es ist viel schlimmer. Ich habe eine Tetralogie über die Deutsche Geschichte geschrieben. Band 3 befasst sich mit der DDR. Entweder es trauen sich die Menschen nicht, eine Meinung dazu zu äußern, weil die rote DDR gar nicht gut weg kommt (so ähnlich wie mein Text hier unten) oder es finden sich willfährige Geister, die zum Löschen bereit sind. Wir haben, so glaube ich, die totale Zensur, die aus ideologischen Vorurteilen und aus Angst besteht, sich zu kompromittieren und selbst ein Opfer dieser roten "Kämpfer" für das GUTE zu werden. Ich versuche es trotzdem... Frau Familienministerin hatte die Idee mit der Finanzierung der kranken linken Köpfe, die versuchen, Deutschland ins Unglück zu reden, um den Pseudofaschismus zu bekämpfen.. Dahinter steht oder steckt auch der faule Journalismus, der sich am liebsten wieder sponsern ließe, wie einst in der DDR. Dazu noch die unausgearbeitete Jugend, die was tolles erleben möchte, die kaputten 68-er bzw. dessen Erbe an den Universitäten. Am interessantesten ist, die Herren und Damen von Rhein, Main, Donau und Ruhr wissen einen Dreck, was eine Diktatur wirklich ist. Sie glauben sogar, es sei romantisch gewesen, was hier mal passiert ist. Im Osten sind nach dem II. WK fast 10.000 Menschen in Gefängnissen, an der Mauer und durch andere Schweinereien von Russen (nach dem Krieg) und SED Bonzen umgekommen. Es waren zeitweise 200.000 Menschen in DDR Knästen. Und, heute finanzieren die rotlinken Lumpen den neuen Rotfaschismus, um die Gleichschaltung der Gesellschaft mit ideologischer und materieller Gewalt neu zu inszenieren. In meiner Familie sind der jüngere Bruder und mein Vater an diesem Kotz-Sozialismus gestorben bzw. in den Tod getrieben worden. Was haben wir uns nur 40 Jahre angetan! Viele haben oder wollen es vergessen. Da ist es ja ein toller Einfall, die bürgerliche Gesellschaft, die so nett, schick und scheinbar nicht wehrhaft ist, in die rechte Ecke zu treiben. Unsere Land, mit Mühe wieder zusammen aufgebaut, verdreckt, verkommt, verludert und verändert sich so, bis wir es nicht mehr wieder erkennen werden. Wählt die Mitte und die konservativen Kräfte und schickt die Roten dorthin, wo sie es schön finden könnten, China, Venezuela, oder Cuba. Nord-Korea ist auch eine Alternative.. Dort sind noch mehr Menschen umgekommen, als man es sich vorzustellen mag. Der lange Marsch, nicht nur der Chinesen, hat eben noch "lange" sein Ziel erreicht. Sie sind überall unterwegs auf der Welt, angeblich um den widererstarkenden rechten Faschismus zu bekämpfen, den es zwar nicht gibt, aber es ist wie in einem schlechten Märchen, da sind die Bösen oft die Guten, nur man weiß es vorher nicht und darum kann man...den alten Spruch neu aufsagen: Am ROTEN WESEN soll die Welt genesen...
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