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Würde und Selbstwert in der Philosophie



KERZENLICHT 

für Johannes Driendl

(verstorben am 30.04.2023)


Entzündet am 26.05.2023 um 22:30 Uhr

Lieber Freund, verehrter Kollege im Geiste der Literatur.

 

Wir haben 14 Bücher über die Europäische Philosophiegeschichte herausgegeben. Du sagtest vor knapp zwei Jahren: 'Mein Lebenswerk, ich habe es geschafft'. Ich meinte, es sei zu früh, sich so zu äußern. Urplötzlich und auch so bitter hat Dich der Tod geholt. Ich kann es bis heute noch nicht verstehen. Du hattest soviel vor mit Deinem Werk. Da kam Corona, dieser Krieg, Du hast ein Buch darüber geschrieben und nun dachtest Du, wir... endlich, vielleicht entfaltet sich Dein Schaffen... Ich kann Dir nicht sagen, wie traurig und wie betroffen ich bin. Das kann nicht sein, dachte ich die letzten Tage und Wochen..

Lieber Johannes, lieber Freund und auch lieber Gefährte, wir haben ja zusammen auch einiges verfasst. Was bleibt ist Deine in Schrift gegossene Genialität und dieser unsägliche Verlust...


Hier ein letzter Gruß von Reinhardt O. Hahn aus Halle. Dein Freund und Verleger 

 



Sie ist meines Erachtens die spannendste Geschichte menschlicher Selbsteinschätzung und Würde in der Geschichte Europas. 
Die Idee menschlicher Würde ist nur eine besondere Form menschlicher Selbstwerteinschätzung, die aber auch in den monotheistischen Religionen ihren Anfang nahm. Nicht mehr Staats-, Stammes- oder Stadtgötter können daher die Überlegenheit und Aufwertung von Staaten, Stämmen und Städten garantieren. Zugleich wird versucht, nach Bestätigungen dieser neuen Selbstwerteinschätzung zu suchen: 
Die Erde des Menschen ist Mittelpunkt des Kosmos, der Mensch ist Teilhaber an der göttlichen Weisheit, der Mensch ist Krone der Schöpfung, er ist Inbegriff der Moral als „Gesetz in uns“, er ist Zielpunkt der Geschichte, er ist Herr seiner selbst. Diese Bestätigungen fallen im Laufe der Wissenschaftsgeschichte wie Dominosteine, sodass nach Nietzsche auch der Garant dieser Bestätigungen, Gott selbst, ausfällt. Die menschliche Würde ist nicht mehr vom Selbstwert definiert.
In der Neuzeit wird die menschliche Würde bedrohungsdefiniert gesehen, erstmals von Thomas Hobbes, wonach es eines übergreifenden Form des Schutzes gegen Verbrechen und Bürgerkriege bedarf, eines starken Staates. Der Staat, der jedoch stark genug ist, alle zu schützen, ist auch stark genug, alle zu unterdrücken, die Idee der Menschen- und Grundrechte wird erstmals in der Französischen Revolution zum politischen Programm. Zugleich entdeckt Marx, dass Armut und Not nicht gott- oder naturgegeben sind, sondern politisch bewältigt werden müssen. Die vierte Front im Kampf um die menschliche Würde ist der Kampf um die Schöpfung, die auch für künftige Generationen erhalten werden muss. 
Wie aktuell die bedrohungsdefinierte Würde und die Schutzpflicht des Staates geworden sind, zeigt die Corona-Krise
Die menschliche Würde ist besonders bei Revolutionen bedroht oder im Findungsprozess, so bei der kosmischen Revolution durch Kopernikus, bei der Französischen Revolution, bei der biologischen Revolution durch Darwin, bei der industriellen Revolution. Diese Revolutionen fanden ihre Bewältigung im Denken von Descartes, Kant, Nietzsche und Marx.
Die Selbstwertproblematik ist auch ein Hauptthema der existentialistischen Philosophie und der modernen Humanwissenschaften. 


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